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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moira Young
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von ihm ab. Nehm einen Stein und lass ihn auf das Ding runterkrachen. Während ich schlag und schmetter und dresch, bis die Schlange tot ist, geht Hermes durch, will sich in Sicherheit bringen. Panisch wiehernd galoppiert er zwischen die Bäume, den Pfad lang, der mir eben aufgefallen ist.
    »Nein!« Ich lass den Stein fallen und renn hinterher, Tracker im Schlepptau.

    V on Hermes ist schon nichts mehr zu sehen. Wir laufen auf einem sauber durchs Unterholz gehauenen Pfad, den jemand sorgfältig frei hält. Jäger vielleicht, oder vielleicht auch jemand anderes. Er ist das erste Anzeichen von Leben, seit ich losgeritten bin, und ich bin nicht froh über den Anblick. Je schneller ich Hermes finde und hier wegkomm, desto besser.
    Auf dem weichen, dick mit Nadeln bedeckten Waldboden machen unsere Füße kein Geräusch. Im Laufen nehm ich den Bogen vom Rücken und leg einen Pfeil ein. Ich dreh mich immer wieder um, guck nach hinten, zur Seite, auf alles vorbereitet. Über den Bäumen kann ich Nero hören, er krächzt, damit ich weiß, dass er bei uns ist.
    Jetzt geht die Nacht wirklich zu Ende, und der Tag wird schnell heller. Man kann jetzt viel besser sehen, sogar hier unter den Bäumen. Nicht weit vor uns seh ich so was wie eine Lichtung. Vorsichtshalber verlass ich den Pfad und schlüpf zwischen die Bäume. Tracker bleibt dicht bei mir. Ein komischer Geruch kitzelt mich in der Nase, und die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf. Es ist ein widerwärtiger, dumpfiger Geruch. Dann kommen wir wirklich an den Rand einer Lichtung.
    Und gucken auf einen riesigen Abwrackertempel. Eine mächtige Ruine, die nur von Stützpfählen, Zeltplanen und Blechen zusammengehalten wird. Früher mal muss der Anblick einem den Atem genommen haben. Die Steinmauern stehen immer noch, hoch und stolz, mit bogenförmigen Fensterlöchern, Figuren in Nischen und kunstvollen Steinverzierungen um die Öffnung, wo früher mal die große Tür gewesen ist.
    Es ist niemand zu sehen. Nur Hermes. Er steht am Eingang und guckt rein.
    »Hermes«, flüster ich.
    Er schlägt mit dem Schwanz und geht rein.
    Ich fluch leise. Mit schussbereitem Bogen geh ich langsam aus dem Wald auf die Lichtung, guck mich immer wieder um, guck in alle Richtungen. Meine Kopfhaut juckt von diesem komischen süßlichen Geruch.
    Nero landet auf dem behelfsmäßigen Dach, guckt durch ein breites Loch, dann lässt er sich fallen und verschwindet. Na, toll. Erst mein Pferd, jetzt auch noch meine Krähe. Aber keiner schlägt Alarm – weder meine Tiere noch sonst wer –, das ist immerhin etwas.
    Auf leisen Sohlen schleich ich über die Lichtung. Geh um einen Haufen Tierkot rum, den ich nicht zuordnen kann. Tracker schnüffelt kurz dran und weicht winselnd zurück.
    Ich entdeck eine Feder, die sich in Schulterhöhe an einem Ast verfangen hat. Weiß und flauschig. Aber sie ist von keinem Vogel, den ich kenn.
    Mit dem Rücken an der Tempelmauer schieb ich mich vor bis zum dunklen Türloch. Ich späh rein. Durch Löcher und Ritzen fällt schwaches graues Licht in den Tempel. Nichts bewegt sich. Die Luft ist rein. Ich geh durch die Tür.
    Und erstarre. Krieg eine Gänsehaut. Die Haare stehen mir zu Berge.
    Der Tempel ist voller Skelette. Große und kleine und alles dazwischen. Dicht an dicht sitzen sie auf langen Holzbänken. Im schwachen Licht leuchten sie mattweiß. Alle gucken zu einer erhöhten Steinbühne am anderen Ende. Vor der Mauer dahinter stapeln sich Schädel vom Boden bis zum Dach.
    Ich guck mir den Tempel genauer an. Es ist ein großer Raum, viel länger als breit. Ein Mittelgang unterteilt ihn der Länge nach, führt von der Tür, wo ich steh, direkt bis zur hohen Schädelmauer. Links und rechts vom Gang stehen die Bänke mit den Skeletten. An den Seitenwänden stehen Drahtkäfige voller Knochen. In der Mitte der Steinbühne ist eine flache Grube, in der ein Feuer brennt. Ein schwerer Metallkessel steht auf einem Rost über den Flammen. Dampf steigt vom Kessel auf. Da kommt auch der eklige Geruch her.
    Und da steht auch Hermes, ganz in der Nähe, am Fuß der Bühne, und bedient sich in aller Ruhe an einem Haufen trockenem Gras.
    Auf Zehenspitzen geh ich durch den Gang auf ihn zu. Mein Kopf dreht sich von links nach rechts zu den Skeletten auf den Bänken. Es sind Hunderte. Drähte laufen durch sie durch, binden Knochen an Knochen. Sie sitzen ordentlich auf ihren knochigen Hinterteilen. Geduldig. Sehen aus, als würden sie auf was warten. Tja, von denen hat’s keiner

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