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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moira Young
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Osten renn.
    »Hier lang! Hier lang, verdammt nochmal!«
    Ich kann sie hören, spür, wie sie kehrtmachen und hinter mir hergedonnert kommen. Ich häng mir den Bogen wieder um. Als Hermes neben mir ist, wird er langsamer. Im Rennen greif ich in seine Mähne und schwing mich auf seinen Rücken.
    »Los, los, los!«, brüll ich. Ich geb ihm die Fersen, und er rennt los wie der Wind. Ich drück die Knie fest an seinen Körper. Beug mich tief über seinen Hals. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Mein Magen hat sich zusammengekrampft. Die rote Hitze brennt heiß in mir.
    Abwrackergeister. Reisende, die nie wieder gesehen werden. Kopfjäger, das steckt hinter den Geschichten. Wenn die ihren toten Feuerhüter finden, werden sie uns verfolgen. Und wir sind leicht aufzuspüren.
    Wir donnern über die Straße, und in meinem Kopf donnert es auch.
    Ich hab ihn getötet. Ich hab’s tun müssen. Hab keine andere Wahl gehabt. Trotzdem. Noch ein Leben auf meinem Kerbholz. Es ist egal, wer. Freund oder Feind. Jedes Leben ist eine Narbe auf meiner Seele.
    Aber, ach … der Bogen in meinen Händen. Mein Weißeichenbogen, der wie für mich gemacht ist. Kein Zögern. Keine Angst.
    Mitten ins Herz.
    Die Schönheit, die darin liegt.
    Die Macht, die darin liegt.
    Die schöne, schreckliche, grenzenlose Macht.
    Tracker rast dicht hinter uns her. Nero saust voraus. Hermes fliegt fast über den Boden, er zittert vor Aufregung. Er ist ein Wirbelwind. Ein Blitz. Seine Hufe tragen uns in die grelle gelbe Morgendämmerung. In vollem Galopp reiten wir aufs Yann Gap zu.

    W ir erreichen es kurz nach Tagesanbruch. Das Yann Gap. Das Ende der Straße. Die Grenze zwischen hier und New Eden. Hinter dem Gap ist das Tonton-Gebiet. Und Jack.
    Der Wald lichtet sich langsam, dann haben wir die Bäume plötzlich hinter uns gelassen, noch zweihundertfünfzig, dreihundert Schritt, und wir sind am Yann Gap.
    Ein gutes Stück vor dem Ende der Straße warnen zwei Steinhaufen vor der Gefahr, die dahinter liegt. Ich halt bei den Steinhaufen an, spring ab und lauf vor, um mir die Sache anzusehen.
    Ohne die Steinhaufen, die einen warnen, würd man vielleicht wirklich einfach weiterlaufen und in einen unschönen Tod in der Schlucht stürzen. Das ist das Gap nämlich. Eine tiefe Felsschlucht mit einem ausgetrockneten Fluss. Ein breiter, tiefer Erdspalt, so, als ob jemand mit einer riesigen Axt zugeschlagen hätte. Viel zu tief für meinen Geschmack. Unten am Boden drohen zackige Felsen wie scharfe Zähne in einem hungrigen Maul.
    Es gibt nur einen Weg auf die andere Seite: über eine Holz-und-Seil-Brücke, die gerade breit genug für einen schmalen Wagen ist. Sie ist an gedrungenen Eisenpfeilern befestigt. Zwei auf dieser Seite des Yann Gap und zwei auf der anderen. Müssen die Überreste von einem alten Abwrackerübergang sein.
    Der Wind streicht murrend und klagend an der Schlucht lang. Die Brücke schaukelt ein bisschen. Ich weiß, ich hab Glück, dass es überhaupt eine Brücke gibt. Aber ich wünschte, sie wär viel stabiler und viel weniger schaukelig. Ich bin noch nie über eine Seilbrücke gegangen. Mein Magen ist nicht scharf drauf. Aber mein Kopf ist scharf drauf, auf meinem Hals zu bleiben, also werd ich drübergehen. Hermes auch. Ich werd ihn nicht zurücklassen.
    Ich werd ausprobieren, ob sie sein Gewicht trägt. Ich halt mich am Seilgeländer fest und geh langsam bis zur Mitte, dann klammer ich mich noch fester ans Geländer und hüpf mit voller Wucht auf und ab: ein, zwei, drei Mal. Die Bretter fühlen sich fest an. Da sind sogar ein paar, die neu aussehen. Jemand kümmert sich um die Brücke.
    Ich lauf zurück zu Hermes. Wühl in meinem Beutel nach irgendwas, was ich ihm um den Kopf wickeln kann, und zieh einen dunkelroten Schal raus. Wie zum Teufel ist der da reingekommen? Als ich ihn das letzte Mal gesehen hab, hat Auriel ihn am Snake River um die Schultern getragen.
    Mein Traum. Die gesichtslose Leiche in der Erde. Der in einen blutroten Schal gehüllte Kopf.
    Ich verdräng den Gedanken, wickel Hermes den Schal um die Augen und führ ihn auf die Brücke.
    »Na komm, Tracker«, sag ich. »Komm, Junge.«
    Tracker bleibt, wo er ist. Er rennt hin und her, winselt und bellt. Verdammt. Ich werd ihn nachher holen müssen.
    Durch Hermes’ Gewicht schwankt die Brücke nicht. Die ganze Zeit red ich mit leiser Stimme beruhigend auf ihn ein. Wir gehen ganz langsam, einen Schritt nach dem anderen. Ich lass seine Hufe nicht aus den Augen, achte genau darauf, wo er

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