Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
quietschen. Dann stürzt die Mitte vom Dach in die Flammen.
»Wo ist die Brennerei?«, fragt Tommo.
»Was?«, fragt Lugh.
»Da wo sie den Schnaps brennen!«, brüllt Tommo. »Ein Funken, und sie fliegt in die Luft!«
»Lauft!«, schreit Lugh. »Lauft weg!«
Wir drehen um. Rennen los.
BUMM !
Die Druckwelle schleudert uns durch die Luft. Mit einem dumpfen Aufprall lande ich auf der Erde, mit dem Gesicht nach unten. Ich rappel mich hoch. Will zurückrennen.
»Jack!«, schrei ich.
»Nein, Saba!« Lugh wirft mich zu Boden. Und sich selbst auf mich drauf. Er schirmt mich mit seinem Körper ab, während das Lost Cause überall um uns rum runterregnet.
I ch lieg still, bin benommen.
»Geh runter von mir«, sag ich.
Lugh rührt sich nicht.
»Geh runter von mir!«
Er rappelt sich hoch. Streckt mir die Hand hin. Ich feg sie zur Seite und steh allein auf. Geh durch die Trümmer auf die brennende Leiche vom Lost Cause zu. Das Feuer schmaust an den Überresten. Züngelt und knistert und knallt. Das Schenkenschild liegt am Boden. Es ist versengt, die Farbe abgeblättert und verblasst. Ein kleines Boot auf stürmischem Wasser, das gleich von einer riesigen Welle verschluckt werden wird. Ich geh am Rand des Feuers lang, so nah, wie ich wag. Ich such die Flammen ab. Such nach … ich weiß nicht was. Nach irgendwas. Irgendwas, was diesem kalten, schweren, dumpfen Nichtwissen ein Ende macht.
Tommo kommt zu mir. »Du zitterst ja.« Er legt mir den Arm um die Schultern. »Ich glaub nicht, dass er da drin gewesen ist«, sagt er.
Ich guck hoch zum Himmel. Die Sulfatwolke ist klumpig, fängt an träge zu wabern. Der Vollmond leuchtet schwach am sich verdunkelnden Himmel. Ich halt den Herzstein in der Hand. Er ist kalt.
»Er hat gesagt, er trifft mich hier bei Vollmond«, sag ich.
Tommo geht neben mir. »Es wird doch gerade erst dunkel«, sagt er. »Er ist bestimmt noch unterwegs.«
»Meinst du?«
Plötzlich krächzt Nero. Er sitzt ein Stück von uns weg auf dem Boden, flattert mit den Flügeln und ruckt mit dem Kopf.
»Was hat er da?«, fragt Tommo. Ich bin schon losgelaufen, auf Nero zu.
Nero hockt auf einem Hut. Auf einem braunen, ramponierten Hut mit einer Krempe. Im Hutband steckt eine graue Taubenfeder.
Benommen starr ich ihn an. Er hat ihn in Hopetown gestohlen. Hat ihn einfach seinem Besitzer vom Kopf geklaut. Emmi hat ihm die Taubenfeder angesteckt. Eines Abends unterwegs nach Freedom Fields.
Es ist Jacks Hut.
Tommo bückt sich. Sanft verscheucht er Nero und hebt den Hut auf. Steht auf. Hält ihn mir hin. In diesem Augenblick fängt es an zu regnen. Im einen Moment nichts, dann eine Sintflut. Brauner, klebriger Regen aus der Sulfatwolke über uns.
Im Nu bin ich durchnässt. Tommo kleben die Haare am Kopf. Dreckiges Wasser tropft ihm von Nase und Kinn. Ich weich ein paar Schritte zurück. Dann geh ich schnell um ihn rum, an ihm vorbei. Ich hab kein Ziel. Denk nicht, fühl nichts, es ist bestimmt nicht wahr, es kann nicht wahr sein.
Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich bekomm keine Luft. Ich fang an zu rennen. Rutsch auf dem nassen Boden aus. Hinter mir hör ich Tommo. Die brennenden Ruinen vom Lost Cause zischen und dampfen, als der Regen allmählich die Flammen löscht.
Da kommt zwanzig Schritt vor mir jemand aus dem Rauch. Dem Regen. Dem Halbdunkel. Es ist eine Frau. Sie führt ein Pferd mit langem rötlichem Fell.
Sie hat eine Waffe.
Und die ist genau auf mich gerichtet.
I ch bleib stehen. Tommo auch.
»Das ist mein Hut«, sagt sie. »Plünderer töte ich.«
Sie ist schmutzig und triefnass. Ihre lange blonde Lockenmähne hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Volle rosige Lippen. Frauliche Kurven in einem Kleid mit langem Rock. Augen mit dunklen Sorgenringen drunter. Sie hat sich einen Schal um den Kopf gebunden und tief in die Stirn gezogen. Ihr abgehärmtes Gesicht sagt alles. Der gnädige Schlaf hat sich schon lange nicht mehr bei ihr blicken lassen. Sie ist atemberaubend schön.
»Du bist Molly«, sagt Tommo. »Ikes Molly.«
»Ike ist tot«, sagt sie.
»Wo ist Jack«, frag ich?
»Jack?«
Ich nehm Tommo den Hut ab. »Das ist seiner«, sag ich. »Wo ist er? Verdammt nochmal«, brüll ich, »wo ist Jack?«
»Weiß ich nicht«, sagt sie. »Ich hab ihn nicht mehr gesehen seit – wer bist du?«
»Das ist sein Hut! Wo ist er?«
»Er hat ihn hiergelassen«, sagt sie.
»Er – er ist nicht hier«, sag ich.
»Hier ist außer mir keiner«, sagt sie.
Langsam, ganz allmählich, hört der
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