Dustlands - Die Entführung
Zeit. Einer Lugh-förmigen Leere, die von niemand anders gefüllt werden kann. Und jetzt, wo er wieder da ist, wo er wieder bei mir ist, müsste eigentlich alles wieder gut sein.
Aber das ist es nicht.
Mein ganzer Körper fühlt sich taub an.
Epona. Immer wenn ich die Augen zumach, werd ich sie vom Dach springen sehen, für den Rest meines Lebens. Werd das Geräusch hören, das der Pfeil gemacht hat, als er von meiner Armbrustsehne auf ihr Herz zugeschossen ist.
Jack lässt sich zurückfallen und reitet neben mir.
Alles in Ordnung?, fragt er.
Ich sag nichts.
Kein Mensch dürfte tun müssen, was du getan hast, sagt er. Ich weiß, im Augenblick fühlt es sich nicht so an, aber du hast das Richtige für sie getan. Das, was am barmherzigsten ist.
Es ist nicht richtig, sag ich. Wenn ich nicht gewesen wär, wär sie jetzt noch am Leben. Sie hätt nie aus Darktrees weggehen dürfen. Meine Stimme klingt ganz dumpf und belegt.
Epona hat das selbst entschieden, sagt Jack. Sie hat mitkommen wollen. Sie hat das Risiko gekannt. Wie wir alle. Keiner macht dir Vorwürfe.
Ich hab den Tod satt, sag ich. Ich hab zu viel davon gesehen.
Das haben wir alle. Er streckt die Hand aus und legt sie auf meine. Es wird wieder gut, Saba.
Es ist noch nicht vorbei, sag ich. Sie werden uns verfolgen. Stimmt doch, oder?
Sehr wahrscheinlich, sagt er. Aber Ike und ich schätzen, dass wir ein paar Stunden Vorsprung haben. Bevor Pinch nicht die Überschwemmung auf den Chaalfeldern unter Kontrolle hat, reitet der nirgendwo hin.
Ich hab ihn in Brand gesteckt, sag ich. Aus Versehen.
Gut so, sagt er. Du hast ihn nicht vielleicht auch gleich umgebracht?
Was hat Ike noch gesagt? Der Teufel ist nicht so leicht zu töten? Nein. Ich glaub nicht.
Zu schade, sagt er. Trotzdem, das gibt uns vielleicht noch ein bisschen mehr Zeit.
Ich atme tief durch. Setz mich aufrechter hin. Soll er doch kommen, sag ich. Ich bin nicht so weit gekommen, um den Scheißkerl am Ende gewinnen zu lassen.
Das ist die richtige Einstellung, sagt er. So ist’s recht.
Schweigend reiten wir weiter.
S aba? Lughs Stimme. Rau. Verwirrt. Saba? Bist du das?
Mein Herz setzt aus. Lugh, sag ich. Ich bin’s. Ich bin hier. Ich hab dich da rausgeholt.
Du bist wirklich hier, flüstert er. Er nimmt meine Hand und küsst sie. Tränen schießen mir in die Augen. Er und ich sind die Nachhut.
Er ist wach!, ruf ich. Lugh ist wach! Ich lass mein Pferd anhalten. Die anderen machen kehrt und kommen zu uns zurückgaloppiert. Jack springt vom Pferd.
Meinst du, du kannst stehen?, fragt er Lugh. Ich helf dir.
Wer bist du?, fragt Lugh.
Ich bin Jack. Ein Freund von Saba.
Ich auch, sagt Ike. Ike Twelvetrees.
Ich bin auch eine Freundin, sagt Ash. Ich bin Ash.
Lugh guckt sich um. Ich hab gar nicht gewusst, dass du so viele Freunde hast, sagt er. Danke. Ich dank euch allen.
Jack hilft ihm vom Pferd. Ich steig auch ab.
Wir lassen euch dann mal allein, damit ihr euch richtig begrüßen könnt, sagt Jack.
Sie gehen außer Hörweite. Dann sind da nur noch Lugh und ich. Wir gucken uns lange an. Bestaunen uns im hellen weißen Licht vom Mittsommermond.
Sein Gesicht ist schmaler geworden. Er sieht älter aus. Grimmiger. Es gibt mir einen Stich ins Herz.
Mein goldener Bruder. Immer noch so schön. Aber verändert. Er ist nicht mehr der Junge vom Silverlake.
Geht’s dir gut?, frag ich.
Mir ist ein bisschen schwindelig, sagt er. Aber … ja, mir … geht’s gut.
Gut. Ich … Wieder schießen mir Tränen in die Augen. Laufen mir über die Wangen. Schnell wisch ich sie ab.
Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, sag ich. Ich … bin aufgehalten worden.
Auch ihm laufen Tränen übers Gesicht. Er macht ein paar Schritte auf mich zu. Streckt die Arme aus.
Ich renn zu ihm. Werf die Arme um ihn. Halt ihn ganz fest. Und lass die Tränen laufen.
Langsam legt Lugh die Arme um mich. Ganz vorsichtig. Als ob er sich nicht sicher wär, dass ich echt bin.
Träum ich?, fragt er.
Nein, sag ich. Nein. Das ist kein Traum. Ich bin echt. Hier. Fühl mal. Ich umarm ihn noch fester. Dann drückt er mich auch an sich. Wir klammern uns aneinander. Ich hab dich gefunden, sag ich. Ich hab doch gesagt, dass ich dich find, und ich hab’s getan. Ich hab dich gefunden.
Sie haben mir gesagt, du wärst tot, sagt Lugh. Sie haben gesagt, sie hätten dich und Emmi getötet.
Und du hast ihnen geglaubt?, frag ich.
Zuerst nicht, nein, sagt er. Zuerst hab ich gedacht … bald ist sie hier. Sie hat gesagt, sie
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