Dustlands - Die Entführung
Schwester. Sie heißt Emmi.
Ich werd warten, sagt sie.
Dann ist sie weg.
I ch hab Emmi jetzt schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Seit Helen mir von Lugh erzählt hat. Seit ich mit Maev geredet hab. Jedes Mal, wenn die Wasserträger kurz vor der Morgendämmerung auftauchen, späh ich ins Halbdunkel im Zellentrakt und guck nach, ob sie dabei ist. Ich hab versucht, einen von ihnen zu fragen, ob er sie gesehen hat, einen mageren kleinen Jungen mit ängstlichen Augen. Aber er ist sofort weggerannt, sobald ich den Mund aufgemacht hab. Langsam mach ich mir Sorgen.
Ich muss sie sehen. Mich überzeugen, dass es ihr gutgeht. Und ich muss mit ihr über Lugh reden. Über Maev und die Free Hawks. Über meinen Plan.
Die Tür zum Zellentrakt geht auf. Schwaches Morgenlicht sickert rein. Die Wachen zünden die Fackeln an den Wänden an, und die Wasserträger kommen reingeschlurft und fangen an, ihre Eimer in die Tröge auszugießen.
Diesmal ist Emmi dabei. Erleichtert atme ich auf. Sie kommt rüber zu meiner Zelle und trägt dabei ihren schweren Eimer ganz vorsichtig, damit nicht so viel überschwappt.
Keiner guckt zu uns hin. Ich geh rüber zum Trog, knie mich hin und spritz mir Wasser ins Gesicht und auf den Hals, während sie langsam ihren Eimer ausgießt.
Wo bist du so lang gewesen? Ich hab mir schon Sorgen gemacht, sag ich.
Ich hab nicht weggekonnt, sagt Emmi. Miz Pinch hat in den letzten Tagen schlimme Zahnschmerzen gehabt. Sie hat weniger geschlafen als sonst. Jetzt ist wieder alles normal.
Geht’s dir gut?
Ja. Aber du siehst schrecklich aus.
Ich hab auch nicht viel geschlafen, sag ich. Hör zu, Em, ich hab rausgefunden, wo sie Lugh hingebracht haben. Der Ort heißt Freedom Fields. Und ich hab jemand getroffen, der uns helfen wird, hier rauszukommen.
Sie reißt die Augen auf. Echt? Wer?
Sie heißt Maev, sag ich. Du musst ihr für mich eine Nachricht überbringen.
Okay, sagt sie. Wo find ich sie?
Sie wohnt in einer leeren Hütte an der Spanish Alley, sag ich. Nordostsektor. Sagt dir das was?
Ja, ich glaub schon, sagt sie.
Prima, sag ich. Okay, das musst du ihr –
He! He, du da! Mädchen!
Ein Wärter guckt zu uns rüber und runzelt die Stirn.
Ich geh lieber, sagt Emmi.
Komm morgen wieder wegen der Nachricht, sag ich. Es ist wichtig.
Okay. Oh!, sagt sie. Hätt ich fast vergessen.
Sie zieht was aus der Tasche und gibt es mir. Einen glatten rosa Stein. Meinen Herzstein, den Miz Pinch mir gestohlen hat. Sie grinst ganz breit. Ich hab ihn genommen, als sie nicht hingeguckt hat, sagt sie.
Danke, Em, sag ich. Ich schieb ihn in meine Weste, dicht über mein Herz.
Mädchen! Was brauchst du so lang da? Der Wärter kommt auf uns zu.
Bis morgen, Saba.
Emmi nimmt ihren Eimer, senkt den Kopf und huscht am Wärter vorbei zur Tür raus.
D ie Zellentraktwärter führen mich an Händen und Füßen gefesselt auf den Frauenübungsplatz. Alle sind hier, sind sie beim Abendüben immer.
Ich muss mit Epona sprechen. Ihr von meinem Plan erzählen. Schnell guck ich mich auf dem Platz um. Da ist sie, bei einer Gruppe anderer Kämpferinnen.
Der Todesengel redet mit niemand. So gefällt es mir. Aber darum kann ich nicht einfach zu ihr rübergehen. Das wär zu auffällig. Ich muss mir genau überlegen, wie ich es mach.
Sie guckt zu mir rüber, und ich fang ihren Blick auf. Nick ihr zu, damit sie weiß, sie soll herkommen, ich will mit ihr reden. Sie reißt die Augen auf, nickt aber. Sie ist klug. Sie wird den richtigen Augenblick abpassen.
Die Wärter nehmen mir die Ketten ab, damit ich mich bewegen kann. Auf dem Übungsplatz neben unserem sind die männlichen Kämpfer. Jetzt legen sie los, wie immer, wenn sie mich sehen. Sie drängen sich am Maschendrahtzaun, machen Kussgeräusche und rufen: Hilfe! Es ist der Todesengel! Rettet mich!
Am Anfang hab ich sie böse angestarrt, aber das hat sie erst recht angestachelt. Jetzt beacht ich sie einfach nicht.
Aber da ist einer, der nicht an den Zaun kommt. Er lehnt in einer Ecke, die Beine an den Knöcheln überkreuzt, und macht sich mit einem Zweigstückchen die Fingernägel sauber. Als hätt er keine Sorgen auf der Welt.
Ich hab ihn noch nie gesehen. Er sieht nicht so mitgenommen aus wie die anderen. Also muss er neu sein. Sie haben ihm noch nicht mal den Kopf geschoren.
Genau in dem Augenblick hört er mit dem Saubermachen auf. Als ob er gespürt hätt, dass ich ihn beobachte. Er hebt den Kopf. Unsere Blicke treffen sich. Er wirft den Zweig weg, kommt zum Zaun
Weitere Kostenlose Bücher