Dustlands - Die Entführung
geraubt worden sind, genau wie du und deine Schwester. Du willst sie einfach da in dem Loch lassen. So eine bist du also. Du bist jemand, der sein Wort nicht hält. Jemand, der Leute im Stich lässt.
Nein, sag ich. Nein, so eine bin ich nicht.
Sie wartet.
Schon gut, sag ich. Schon gut, ich halt mein Wort. Versprochen.
Sie lässt mich los. Ich richte mich auf, reib mir den Arm.
Tut mir leid, sag ich.
Wir sehen uns an. Dann lächelt sie. Jetzt sehen ihre Augen nicht mehr grimmig aus. Sie macht die Falltür wieder auf. Nach dir, sagt sie.
Ich schwing mich runter ins Loch, ertaste eine wacklige Leiter, stell die Füße drauf und kletter runter. Ash kommt hinterher und macht die Falltür über sich zu.
Jetzt ist es pechschwarz. Ich kann nichts sehen. Hab einen kühlen erdigen Geruch in der Nase. Ich taste mich zum Boden vor, zehn Sprossen. Ash springt neben mir runter und zündet eine Fackel an.
Wo gehen wir hin?, frag ich.
Wirst du gleich sehen, sagt sie. Hier lang.
Wir ducken uns und gehen durch einen niedrigen Tunnel. Im Nu haben wir das Ende erreicht: eine Ziegelmauer. Waffen stapeln sich da, eine Brechstange und ein paar Glasflaschen mit irgendwas, was aussieht wie Wasser. In den Flaschenhälsen stecken Lumpen.
Halt das mal. Ash gibt mir die Fackel. Bleib damit von den Flaschen weg.
Sie nimmt die Brechstange, steckt sie in eine Lücke zwischen den Ziegeln und versucht, einen zu lockern.
Was soll das werden?, frag ich. Brechen wir irgendwo ein?
Das will ich hoffen, sagt sie. Sonst hätt ich den Tunnel in den letzten drei Tagen nämlich umsonst ausgeräumt. Wir flüstern. Der erste Ziegel ist locker. Nimm den, ja?
Während ich den Ziegel rauszieh und auf den Boden leg, macht sie mit dem nächsten weiter.
Der Tunnel ist also schon da gewesen, sag ich. Woher hast du von dem gewusst? Wo führt er hin? Der zweite Ziegel ist locker. Ich hol ihn raus.
Vor ungefähr zehn Jahren hat es hier mal einen großen Ausbruch gegeben, sagt sie. Die Kämpfer haben sich einen Weg nach draußen gegraben. Einen Tunnel vom Männertrakt und einen vom Frauentrakt. Hinterher haben die Tonton die Tunnel wieder zugeschüttet. Wenn sie schlau gewesen wären, hätten sie sie einstürzen lassen.
Dritter Ziegel. Wir brechen also in den Zellentrakt ein, sag ich. In meinen Zellentrakt?
Das ist der Plan, sagt sie.
Und jetzt erklärst du mir noch, was dagegenspricht, dass wir einfach die Wachen beseitigen und den Zaun aufschneiden, sag ich.
Da drin tut eine volle Wachbesatzung Dienst, sagt sie. Die haben wohl Angst gehabt, dass die Kämpfer im Schutz von dem Tumult in der Stadt irgendwas versuchen. Man sollte immer einen Plan B haben.
Werd ich mir merken, sag ich.
Schsch, sagt Ash, als ich den vierten Ziegel rauszieh. Sie bläst die Fackel aus. Wir gucken durchs Loch.
Vor uns liegt der Zellentrakt für die Kämpferinnen. Genauer gesagt meine alte Zelle.
M eine Pritsche ist gleich unter uns. Die Zellentür steht offen. Die meisten Frauen in der großen Hauptzelle sitzen oder liegen auf dem Boden. Sie haben keine Pritschen, nicht mal Decken. Am anderen Ende sitzen links und rechts vom Haupteingang zwei Wachen auf Stühlen.
Die letzten paar Ziegel holen wir nur mit den Händen raus. Wir sind ganz fix und machen kein Geräusch. Als das Loch groß genug für uns ist, zieht Ash ein Blasrohr aus dem Gürtel und steckt einen Pfeil rein.
In dem Augenblick entdeckt uns eine von den Frauen in der Hauptzelle. Sie reißt die Augen auf. Ich schüttel den Kopf. Sie nickt.
Ash hält sich das Blasrohr an den Mund. Holt tief Luft. Bläst.
Treffer. Die Wache links von der Tür schreit auf. Packt sich in den Nacken und fällt vom Stuhl. Die andere Wache springt auf, aber Ash schickt noch einen Pfeil auf den Weg. Der Mann gibt keinen Ton von sich. Sackt bloß in sich zusammen.
Sauber, sag ich.
Gehen wir, sagt sie.
Sie schlüpft durchs Loch und springt runter. Dann nimmt sie einem der Wärter den Schlüsselring ab und schließt die Hauptzelle auf, um die Frauen rauszulassen. Ich werf die Waffen runter auf mein Bett. Armbrüste, Köcher voller Pfeile, Schleudern und Bolzenschießer.
Bedient euch, Mädels!, sagt Ash. Und dann wartet an der Tür auf uns.
Sie kommen in meine Zelle gerannt, und in ein, zwei Minuten haben sie alles unter sich aufgeteilt.
So, sagt Ash. Wir nehmen vier von den Flaschen mit und den Rest lassen wir hier. Sei vorsichtig.
Ich reich ihr die mit Lumpen zugestopften Flaschen runter, und sie stellt sie vorsichtig auf
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