Dustlands - Die Entführung
ich.
Guter Plan, sagt er.
G erade als die Sonne aufgeht, reiten wir in die tote Stadt.
Pa hat uns manchmal von den großen Abwrackerstädten erzählt, die meilenweit das Land bedeckt haben. Ich hab immer gedacht, er denkt sich das aus, aber offenbar hat er recht gehabt. Das da auf dieser Hochebene in den Bergen sind jedenfalls die Überreste von einer riesigen Stadt.
Vor uns liegt ein langer gerader Pfad, eine alte Straße. Sie geht, so weit man gucken kann. Sie ist überall von Gras und niedrigen Büschen überwachsen. Die rostigen Eisenskelette von den Wolkenkratzern, die wir von weitem gesehen haben, säumen die Straße auf beiden Seiten. Von dieser Hauptstraße gehen andere Straßen ab, wie Äste an einem Baum.
Man kann noch sehen, wo früher Häuser gestanden haben, vor langer Zeit. Jetzt sind sie nur noch Höcker und grasbewachsene Hügelchen. Sie sind vor langer Zeit nach und nach eingestürzt. Seitdem arbeiten die Erde, die Pflanzen und der Wind still und leise daran, alles zuzudecken, was übrig ist. Es zu verstecken. Die Vergangenheit zu begraben.
Es ist ganz still bis auf den Wind. Der heult um die Ecken. Seufzt, wenn er an uns vorbeifegt, flüstert uns die längst vergessenen Geheimnisse dieser Stadt zu. Lausch dem Wind, hat Mercy mir gesagt. Wenn wir nur verstehen könnten, was er sagt. Vielleicht erzählt er uns, wie viele Leute unter unseren Füßen begraben liegen und wie sie gestorben sind. Ob an einer Seuche oder einer Hungersnot, an einer Dürre oder im Krieg. Oder vielleicht an allem zusammen. Bei den Abwrackern hat es das alles gegeben.
Jetzt lebt hier niemand mehr, bloß Katzen. Und wo Katzen sind, sind auch Mäuse. Eine rennt Hermes vor die Hufe, aber er ist klug und achtet gar nicht auf sie. Die Katzen gucken uns nicht zweimal an, wenn sie in ihren Katzenangelegenheiten vorbeischleichen. Nero stürzt sich zum Spaß auf sie. Er stürzt geräuschlos vom Himmel runter und jagt ihnen so einen Schrecken ein, dass sie flüchten.
Wir lassen die Pferde anhalten und steigen ab. Aber als ich den Fuß aufsetz, bewegt sich der Boden. Ich hab nicht mal Zeit, zu schreien, schon ist mein rechtes Bein bis zum Knie eingesunken. Emmi kichert.
Hab ich ganz vergessen zu erwähnen, sagt Jack. Wenn der Boden abfällt, geh drum rum. In diesen Städten bedeutet eine Senke im Boden normalerweise, dass da ein Loch ist.
Mit verschränkten Armen guckt er mir zu, wie ich mein Bein wieder rauszieh.
Danke, sag ich. Ich werd’s mir merken.
Lasst uns lieber nachgucken, wo unsere Freunde sind, sagt er. Er gibt Emmi den Weitgucker. Willst du da raufklettern und nachgucken?
Sie nickt. Seit wir sie wachgerüttelt und ihr von den Lichtern erzählt haben, hat sie nicht mehr mit mir geredet. Ich nehm sie nachher beiseite, wenn Jack nicht in der Nähe ist. Dann entschuldige ich mich dafür, dass ich ihr nicht geglaubt habe, als sie gesagt hat, wir werden verfolgt. Ich schätz, sogar Emmi kann manchmal recht haben.
Sie hüpft einen großen Hügel in der Nähe rauf und klettert dann auf einen Metallmast, der in der Hügelspitze steckt. Mit einem Arm hält sie sich an einer Strebe fest und guckt durch den Weitgucker.
Ich kann sie sehen!, ruft sie ganz aufgeregt.
Wie weit weg?, fragt Jack.
Ähm …
Sie kann keine Entfernungen schätzen, sag ich.
Kann ich wohl! Sechs Meilen, sagt sie.
Wie viele sind da?, fragt Jack.
Vier! Nein, warte! Ähm … ich kann’s nicht richtig sehen.
Probier mal aus, ob’s besser wird, wenn du den Knopf in der Mitte drehst, ruft Jack.
Sie lässt die Strebe los und fummelt an dem Knopf rum.
Emmi!, brüll ich. Bist du verrückt geworden? Halt dich fest!
Lass mich in Ruhe!, brüllt sie. Ich weiß, was ich tu!
Sie dreht sich zu uns um und guckt mich bitterböse an. Dann verliert sie das Gleichgewicht.
Emmi!, brüll ich. Ich renn den Hügel rauf.
Sie wirft die Arme um die Strebe und klammert sich fest. Aber dabei lässt sie den Weitgucker fallen. Er fliegt durch die Luft. Ich mache einen Hechtsprung, aber ich bin zu weit weg. Mit einem Knacken fällt der Weitgucker gleich vor mir auf einen Stein. Und ich lande hart auf dem Bauch. Da lieg ich jetzt und guck auf die Trümmer vom Weitgucker, die überall verstreut liegen. Nero kommt angeflattert und landet auf meinem Kopf.
Mist, sagt Jack.
Verdammt nochmal, Emmi!, sag ich. Guck, was du jetzt schon wieder angestellt hast!
W ir haben uns auf einem Hügel versteckt. Jetzt guckt Jack vorsichtig über den Gipfel. Okay, sagt er. Sieht aus,
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