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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Paffenroth
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Teint beneidet: Ihr Dad war weiß, ihre Mom schwarz, sodass ihre Haut im Winter die Farbe von Weizen hatte, während sie den Sommer über allmählich immer dunkler und schließlich walnussbraun wurde. Meine schwankte hingegen zwischen haferbreiweiß – fleckig und ziemlich käsig – und krebsrosa. Erschwerend kamen natürlich noch all die hässlichen Sommersprossen auf meinen Wangen und meiner Nase hinzu. Der Altersunterschied von zwei Jahren, der zwischen uns bestand, schien mittlerweile ein größeres Hindernis zu sein als noch vor einiger Zeit, als wir jünger gewesen waren.
    Vera war noch immer der Ansicht, Jungs seien eklig und stanken. In jenem Sommer, als ich zwölf war, kam ich allmählich zu der Einsicht, dass sie auf seltsame Weise interessant waren oder sogar ziemlich anziehend, obwohl ich mich mit der Vorstellung, sie oder ihren Geruch ständig um mich oder in meiner unmittelbaren Nähe zu haben, noch immer nicht recht anfreunden konnte. Sexualität war etwas, über das meine Mom mich sehr nüchtern und klinisch aufgeklärt hatte und über das die Kinder in der Schule ständig ziemlich anzüglich und ebenso unwissend kicherten. Wie dem auch sei, ich jedenfalls hatte nur ein sehr vages, abstraktes Verständnis davon. In jenem Jahr genügte es mir noch, die Jungs aus einiger Entfernung zu beobachten, aber mir war trotzdem bewusst, dass die Dinge nun irgendwie anders waren als noch vor ein paar Jahren.
    Selbstverständlich traf keine dieser vagen Ahnungen, Jungs könnten vielleicht doch keine stinkenden kleinen Kröten sein, auf meinen kleinen Bruder Roger zu. Unsere Beziehung glich im Allgemeinen einer Art verspieltem Wettkampf, und wir neckten uns genauso wie alle anderen Geschwister auch, ohne dass je ernsthafte Spannungen zwischen uns bestanden hätten. Er war schon immer ein eher extrovertierter Mensch gewesen, der ich nie hätte sein können, aber die fröhliche, ungestüme Persönlichkeit meines Dads war in der kleineren Ausgabe meines jüngeren Bruders entschieden weniger ansprechend und sehr viel schwerer zu ertragen.
    Er war ziemlich groß für sein Alter und sehr sportlich, aber um unsere Mom zu besänftigen, ließ er den Klavierunterricht mürrisch über sich ergehen. Für mich hatte das Klavier eine wichtige Rolle bei der Rettung meines Soziallebens gespielt – für ihn war es nichts weiter als ein Hindernis, aber schon damals war mir bewusst, wie ungewöhnlich es für einen Jungen in seinem Alter war, dass er nicht den Spielverderber gab und nur für unsere Mom gute Miene zum bösen Spiel machte. Viele Kinder hätten das nicht getan oder sich noch bitterer oder noch häufiger beschwert. Natürlich hatte auch Dad seinen Anteil daran, dass sich die Beschwerden auf ein Minimum beschränkten, denn er ließ uns Kindern nicht viel durchgehen. Er hielt uns auf Kurs und machte uns so stark, wie wir in dieser Welt eben sein mussten.
    Auch Mr. Caine und Milton machten uns stark, obwohl ihre Methoden und die Art der Stärke, die sie uns vermittelten, vollkommen anders waren und sich im Einzelnen nur schwer erklären oder beschreiben lassen. Ich habe oft versucht, genau dies meinem Dad zu erklären – inzwischen verstehe ich es auch selbst besser: Seine Stärke hatte etwas mit Gewissheit zu tun, mit Fakten, Rüstzeug und Waffen. Ihre Stärke war die der Neugier, des Zweifels, des Geheimnisvollen und der Ehrfurcht. Ich hatte das Glück, mich an beidem laben zu können, und in meinem zwölften Lebensjahr lechzte ich nach beidem, als seien sie Nahrung oder Wasser. Ein Buch fühlte sich in meiner Hand genauso richtig an wie eine Pistole. Die Beklemmung und die Frustration, die einige der Bücher nährten, deren Lektüre Mr. Caine uns aufgab, waren ebenso befriedigend für mich wie der Knall einer Pistole oder das Scheppern der Bratpfanne, wenn ich sie auch mit der nächsten Kugel traf. Ich hatte Glück, auch wenn sich mir dieses Glück und die Dankbarkeit, die ich dafür empfand, erst im Laufe der Jahre allmählich erschlossen.
    Bei Mr. Caine beendeten wir größeren Kinder das Schuljahr mit einem Shakespearestück. Die Jüngeren unter uns, die Zehn- und Elfjährigen, lasen Julius Cäsar. Wir Übrigen, alle ab zwölf, wurden in Macbeth und König Lear getrennt. Da nicht jeder von uns jedes Stück gelesen hatte, wurden wir in Gruppen eingeteilt und hielten vor der Klasse Referate über den Inhalt und die Figuren der Stücke und mussten einige einfache Fragen zur Interpretation oder zum historischen

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