Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
Hintergrund beantworten. Ich hielt ein Referat über Macbeth, obwohl ich auch die beiden anderen Stücke in meiner Freizeit gelesen hatte. Wie schon gesagt, so war ich damals: Ich las und lernte, wann immer ich konnte.
Rückblickend denke ich, dass die anderen beiden Stücke im Gegensatz zu Lear ziemlich geradlinig waren und dass das Thema, das sie miteinander verband, auch für Jugendliche leicht zugänglich war – Könige auf Abwegen, verdorben durch die eigenen Charakterfehler und schlechte Entscheidungen, verwandeln sich in Tyrannen für ihre Familien und ihre Nationen, in Schurken und Mörder. All diese Stücke hatten aber auch etwas Unwirkliches an sich, und auch wenn ich viele Dinge für mich behielt, fand ich manchmal eine Stimme in mir, durch die ich meiner Frustration Ausdruck verleihen konnte, genau wie an jenem Morgen: »Ich verstehe nicht, warum wir das lesen, Mr. Caine. Diese Stücke spielen alle in einer Welt, die sogar noch älter ist als Ihre. Sie erzählen von Königen, Königinnen und Weltreichen. Ich kann zwar all diese Dinge in Büchern nachlesen, aber sie sind nicht mehr Teil unserer Welt. Ich meine, in diesen Büchern kommen ja sogar Hexen und Geister vor – die haben aber nie existiert, die sind nur erfunden. Nichts davon ist für mich von Bedeutung. Nichts in diesen Büchern erscheint mir real.«
Ich hatte genügend Bücher über gemeine Lehrer gelesen – beispielsweise hatte ich bereits ganz allein Ein Porträt des Künstlers als junger Mann gelesen – um zu wissen, dass mir diese Bemerkung als sehr schlechtes Benehmen ausgelegt werden konnte und dass die Menschen sehr grausam und böse sein konnten. Aber ich kannte Mr. Caine schon mein ganzes Leben, und ich hatte vor ihm ebenso wenig Angst wie vor meinem Dad. Ich wusste, dass er gute Fragen liebte. Nicht die unüberlegten oder besserwisserischen, obwohl er auch die sehr geduldig beantwortete, sondern Fragen, die ihn herausforderten und sich um das »Warum?« dessen drehten, was wir lasen oder diskutierten.
Er nickte nur und blickte dann aus dem Fenster. »Ich verstehe, was du meinst, Zoey. Vielleicht hätte ich nicht nur Stücke über Könige auswählen sollen. Ich hätte erkennen müssen, dass das bloße Konzept einer Regierung – ganz zu schweigen von etwas so Veraltetem wie einer Königsherrschaft – für euch viel zu weit weg und fremdartig ist.«
So beantwortete er alle Fragen, das wurde mir später bewusst – er stimmte dem Fragesteller zu und räumte ein, dass er sich geirrt hatte. Die einzige Person, die in rhetorischer Hinsicht noch entwaffnender war, war Milton, und beide Männer hatten mich seit jeher in ihren Bann gezogen. »Lasst uns doch einmal darüber nachdenken, ob das das Einzige ist, worum es in diesen Stücken geht. Zoey, das Stück, das du gelesen hast, Macbeth – worum geht es darin? Gut, die Hauptfigur war ein böser König, aber worum geht es noch, außer darum, wie ein böser König so ist?«
Ich hatte genug über das Stück gelesen, um die grundlegenden Antworten zu kennen. »Ehrgeiz. Macht korrumpiert. Rache. Was für welches Geschlecht angemessen ist.« Dies löste hier und da ein Kichern aus. »Manche denken, er habe es geschrieben, um die Tudors zu unterstützen.«
Mr. Caine lächelte. »Ihr alle – ignoriert die letzte Bemerkung!« Diejenigen, die aufpassten, ließen erneut ein Kichern vernehmen. »Reduktionismus, Zoey? Ich bin schockiert!« Beinahe lächelte ich auch, hielt mich jedoch zurück, denn auch mein Lächeln war eines dieser Dinge – wie mein Haar, meine Haut oder meine Stimme –, die ich in jenem Sommer besonders hässlich und peinlich fand. »Als ob ich euch etwas vorsetzen würde, bei dem es nur um ein paar historische Fakten geht – als könnte man die Schönheit eines Werkes auf etwas so Banales reduzieren! Aber was die anderen Themen angeht – ja, die kommen alle darin vor. Und vielleicht ist es ja ein Segen, dass wir uns darum heute keine Sorgen mehr machen müssen. Niemand besitzt zu großen Ehrgeiz oder zu viel Macht. Wir kämpfen alle nur ums Überleben. Vielleicht sind diese Themen für uns also auch irrelevant. Ich glaube, du hast aber ein Thema vergessen, Zoey. Es ist in Lear am stärksten, aber in Macbeth kommt es auch vor.«
Er hatte mich erwischt, ich hatte keine Antwort. Darin war er wirklich gut, aber er wurde dabei nie gemein – hätte ich die Antwort parat gehabt, hätte er mich dafür gelobt, wenn ich sie hingegen nicht wusste, so wie jetzt, dann brachte er
Weitere Kostenlose Bücher