Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
Schoß, und dabei spannte sich mein Körper plötzlich an und fühlte sich tauber an als normalerweise. Auch das war eines der Dinge, die mir nicht eingefallen waren, eine dieser völlig offensichtlichen Tatsachen, die mir einfach nicht in den Sinn gekommen war – ebenso wie es mir so lange Zeit nicht in den Sinn gekommen war, die Stadt einfach zu verlassen. Ich spürte einen Ring an meiner linken Hand. Ich berührte ihn mit den Fingerspitzen, und er fühlte sich ganz glatt an: ein schlichter Ring ohne Stein oder Fassung. Im Gegensatz zu der College-Ausweiskarte konnte er jedoch nur eines bedeuten: Es gab eine Mrs. Truman, und mit großer Wahrscheinlichkeit sogar kleine Trumans. Oder zumindest hatte es sie einst gegeben, damals, in dieser anderen Zeit, an diesem anderen Ort, in dieser anderen Identität – bevor ich erwacht war. Noch viel bestürzender und weit weniger amüsant als nicht zu wissen, ob ich Professor oder Hausmeister war, war das Bewusstsein, dass ich rein gar nichts über diese Menschen wusste. Selbst wenn ich nach ihnen hätte suchen können, hätte ich sie nicht einmal erkannt, wenn sie direkt auf mich zugekommen wären. Aber vielleicht war es ja das Beste so. Milton hatte gesagt, einige von uns seien nun netter als früher. Vielleicht war ja auch ich nicht besonders nett gewesen, und der Rest der Familie Truman würde sich daran erinnern. Oder vielleicht waren auch sie inzwischen gewalttätig und wütend, wie so viele andere Menschen, die ich getroffen hatte.
Ich legte meinen Kopf zurück und blickte wieder in die Sterne. Sie sahen ganz klein und kalt aus und schienen sich auf seltsame Weise über mich lustig zu machen. Ich fragte mich, wer oder was es wohl war, das mir meine Erinnerungen an mich selbst, an mein Leben und an meine Familie genommen und mir nichts als dieses willkürliche, desorientierte und – und das war am allerschlimmsten – sinnlose Wissen gelassen hatte.
Kapitel 5
Der Unterricht war für diesen Frühling noch nicht ganz zu Ende, und einen Tag, nachdem ich mit meinem Dad schießen gewesen war, saß ich daher wieder in der Schule. In unserer Gemeinde gab es nicht genügend Kinder, sodass man uns nicht nach Altersgruppen oder in »Klassen« hätte aufteilen können, wie die Älteren es nannten. Da zu der Zeit, als die alte Welt endete und unsere begann, nicht besonders viele Kinder geboren worden waren, saßen ältere Kinder wie ich mit Kindern ab zehn Jahren zusammen im Unterricht. Wir nutzen einen Teil eines alten Schulgebäudes für unseren Unterricht, sodass ich einen Eindruck von der unglaublichen Größe der Schulen in der alten Welt bekam, aber es fällt mir immer noch schwer, mir vorzustellen, dass all diese Zimmer einst tatsächlich voll von Kindern waren. Und wenn ich das dann mit den Tausenden von Städten und Dörfern multipliziere, die ich auf alten Landkarten gesehen habe, fällt es mir erst recht schwer, mir vorzustellen, dass einst Milliarden von Menschen auf diesem Planeten lebten.
Der Gedanke an all diese Menschen in den vollgestopften Städten, an all diese Kinder in den vollgepackten Schulen macht mir beinahe Angst. Ich weiß, dass ich das nicht sagen sollte, aber manchmal frage ich mich, ob die Dinge jetzt nicht vielleicht doch besser sind. Hier sind nur die Toten zusammengepfercht, wir aber sind frei, und genau das möchte ich auch sein. Wie gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht gefiel es den Menschen ja früher, so gedrängt zu leben. Trotzdem machte mir der Gedanke daran Angst, und außerdem gefiel mir die Art, wie ich in meiner Welt lebte.
Auch wenn wir größeren Kinder alle in derselben Klasse waren, hatten wir für die verschiedenen Fächer unterschiedliche Lehrer, was anscheinend schon immer so gewesen ist. Mr. Caine, Veras Dad, unterrichtete Englisch. Ich habe ihn schon immer gemocht. Er ist ruhig und eindringlich, nicht so entspannt und fröhlich wie mein Dad. Ich fand es schön, dass er zwar ganz anders war als mein Dad, dass sie aber trotzdem so gute Freunde waren, so als brauchten sie einander auf seltsame Weise, um ihr Gleichgewicht zu finden oder sich gegenseitig zu führen. Ich hoffte, eines Tages auch einen solchen Freund zu finden, aber da mir erst seit meiner Verwandlung zum Piano Girl ein normales Sozialleben vergönnt war, hinkte ich in Sachen »Freundschaften mit anderen Kindern knüpfen« noch ein wenig hinterher.
Vera und ich spielten öfter miteinander, als wir noch kleiner waren. Ich habe sie immer um ihren hellbraunen
Weitere Kostenlose Bücher