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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Paffenroth
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Beine.
    Abgesehen von ihrer Haut waren ihre großen braunen Augen das Atemberaubendste und Schönste an ihr: weit, offen und ehrlich und dabei stets ein wenig ernst, aber nicht traurig, sondern eindringlich und hart, so als hätten sie schon viel zu viel Geheimnisvolles und Schmerzhaftes in dieser Welt gesehen.
    »Hallo, Miss Wright«, erwiderte ich und stellte meine Sporttasche ab.
    »Geht’s dir gut?« Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und betrachtete mein beinahe schwarzes linkes Auge.
    »Ja, alles okay.« Kahlköpfig, blass und ein dunkel verfärbter Ring um eines meiner Augen – es kostete mich schon Überwindung, überhaupt aus dem Haus zu gehen.
    Sie deutete ein Lächeln an. Noch ein Zeichen für ihre Ernsthaftigkeit, dachte ich, dass sie nur selten lächelte und niemals lachte. »Du hast das wirklich gut gemacht, Zoey. Das tust du immer. Ich hoffe, du weißt das.«
    Der Raum, den wir zum Tanzen nutzten, hatte eine komplette Fensterfront, sodass das Sonnenlicht ihn an jenem Nachmittag hell erstrahlen ließ, aber dank der geöffneten Fenster blieb er angenehm kühl. Die meisten Tische waren in die anderen Klassenzimmer gebracht worden, aber ein paar standen noch unter den Fenstern. Manchmal benutzten wir sie als Kulissen, wenn wir einzelne Szenen probten.
    In der Wand gegenüber den Fenstern befanden sich zwei Türen: eine am vorderen Ende des Raumes, die andere am hinteren. Sie waren ziemlich altmodisch, mit einer Scheibe aus getöntem Glas in der oberen Hälfte und Holz in der unteren. Aus irgendeinem Grund hatte niemand die Namen abgekratzt, die mit Farbe auf die Türfenster geschrieben worden waren, und so wussten wir, dass dies vor zwölf Jahren das Klassenzimmer der fünften Klasse von Miss Thele gewesen war.
    Eines Tages, als ich noch jünger gewesen war, hatte man mir erlaubt, in den Schränken im hinteren Teil des Klassenzimmers zu stöbern. Unter anderem hatte ich Bilder von Miss Thele und all den Klassen gefunden, die sie im Lauf der Jahre unterrichtet hatte. Auf den Bildern konnte ich ihr dabei zusehen, wie sie von einer sehr jungen Frau zu einer Frau im mittleren Alter heranreifte. Auf zwei der Fotos kam es mir vor, als sei sie etwas kräftiger. Zweimal schwanger. Mindestens zwei eigene Kinder. Hunderte von Schülern. Es ging mir sehr nahe, aber nicht nur, weil mit ziemlicher Sicherheit fast alle auf diesen Fotos tot waren, sondern weil sie vermutlich noch viele andere getötet hatten, nachdem sie gestorben waren. In diesem Klassenzimmer wurden sie mehr gewürdigt, als sie selbst es wohl je getan hatten.
    Nachdem sich die Mädchen ein wenig untereinander ausgetauscht hatten, begann Miss Wright mit dem Unterricht. Während wir unsere Schritte übten, die ausnahmslos französische Namen hatten, ertappte ich mich dabei, wie ich wieder einmal darüber nachdachte, ob es wohl noch irgendwo Menschen gab, die französisch sprachen. Die sich ständig wiederholenden Bewegungen des Tanzens, die ich schon so lange trainierte und die sich beinahe in meine Muskeln eingeprägt hatten, gaben mir die Freiheit, geistig in solch abstrakte, spekulative Überlegungen abzuschweifen. Zu den Dingen, die ich am Tanzen schon immer gemocht hatte, gehörte neben der physischen Schönheit der Darbietung an sich auch die geistige Freiheit beim Training. Ich dachte an Frankreich – die Landkarten, die ich gesehen und die Beschreibungen, die ich in Büchern gelesen hatte –, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie irgendjemand dort überlebt haben sollte. Zu überfüllt und nicht genügend Waffen. Dasselbe galt für ganz Europa. Fort. Ich hatte etwas über den Louvre gelesen, über Versailles und den Vatikan. Ein paar der Älteren hatten diese Orte einst besucht und mir erzählt, wie fremd und wunderschön sie waren – wie Mom damals, als sie in Erinnerungen geschwelgt und all die fremden, exotischen Picknicks beschrieben hatte. Alles fort.
    Selbst wenn noch irgendwo anders Menschen überlebt hatten und unsere kleinen Städte weiterwuchsen, bis unsere Nachfahren eines Tages wieder durch Europa wanderten, würden sie dort nur Ruinen vorfinden, die Archäologen ausgraben und entschlüsseln konnten. Die Abbildungen der Louvre-Kunstwerke in unseren Büchern waren gewiss auch schöner als die verfaulten Fetzen, die sie dann im richtigen Museum vorfinden würden.
    Ich erinnerte mich daran, dass einige karibische Inseln früher französische Kolonien gewesen waren und nahm an, dass die Chancen besser standen, dort

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