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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Paffenroth
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ausgesprochen hatte: Man musste uns einsperren. Selbst jemand, der so gut und wunderschön war wie Lucy oder so vermeintlich unschuldig wie diese beiden Kinder, konnte einen anderen Menschen töten oder verletzen wollen, ja, sich sogar danach verzehren. Ich erinnerte mich an das Wort »Blutdurst«, aber ich fand, dass es sich dabei eher um eine Art »Blutnot« handelte, denn schließlich litten wir nicht unter einem dürstenden Drang, der uns überwältigte und wieder abebbte. Das Gefühl glich vielmehr einem dumpfen, hungrigen Schmerz – hinterhältig und bösartig.
    In jenem Moment beschloss ich, alles niederzuschreiben, was geschehen war, so vollständig und ehrlich, wie ich konnte. Wenn die Menschen dort draußen uns, wie Will es beschrieben hatte, tatsächlich nur als Tiere betrachteten, die man am besten einschläfern sollte, dann musste ich ihnen erklären, dass die Dinge in Wirklichkeit ganz anders und viel komplizierter waren. Natürlich erwuchs ein Teil dieser Kompliziertheit aus verwirrenden, beängstigenden Szenen wie der, die sich heute am Tor abgespielt hatte und bei der Hunger, Wut und Furcht sich beinahe zu einer übergroßen Macht gegen neu entstandenes, zerbrechliches Vertrauen vereint hätten.
    An jenem Abend wünschte ich mir, Lucy würde auf ihrer Geige spielen und mich an freundlichere, schönere Dinge erinnern. Andererseits war ich hingegen beinahe froh darüber, dass sie es nicht tat, denn dann wäre es zu leicht gewesen, all diese schlimmen Dinge zu vergessen. Stattdessen sah ich sie einfach nur in dem Wissen an, dass ich sie lieben konnte – lieben würde –, trotz all ihrer Fehler. Ich wusste nun, dass wir alle diese Fehler in uns trugen, nicht nur ich und unsere unkommunikativen Nachbarn, sondern sogar Lucy.
    Während wir dort saßen, ohne Geige, kam ich zu der Überzeugung – ich hoffe, durch Lucys Liebe zu mir, aber vielleicht auch nur durch meine Liebe zu ihr –, dass sie tatsächlich versucht hatte, mich und die beiden Kinder zu beschützen und dass sie Will nicht einfach nur hatte wehtun wollen. Wie neulich Nacht, als ich über meinen früheren Beruf nachgedacht hatte, war auch dies nichts weiter als eine Hoffnung. Aber diese Hoffnung saß ebenso tief in mir und war ein ebenso beständiger Drang wie der blutige Hunger und die Gewalt, derer ich soeben Zeuge geworden war, und einmal mehr schien mir diese Hoffnung auszureichen.

Kapitel 13
    Es war schon komisch, aber im Großen und Ganzen ging hinterher alles wieder seinen gewohnten Gang, sowohl nach meinem Gelübde als auch nach dem Tod von Miss Dresdens Baby. Ich frage mich nach solchen Ereignissen immer, ob wir wohl über eine gewisse Widerstandsfähigkeit oder Robustheit verfügen oder ob es doch an jener Art der Hoffnung liegt, von der Milton gesprochen hatte – oder ob wir vielleicht einfach nur stur waren. Ich denke oft, dass es eher an einer Art Trägheit oder Zähigkeit der lebendigen Materie liegt – einer plumpen, nassen Schwere, durch die das Leben immer weiterfließt oder weiterwandert, wie eine Flut oder ein Gletscher, je nach Situation. Die Lebenden bleiben am Leben – sie leben sogar weiter, nachdem sie gestorben sind. Das ist weder gut noch schlecht, es ist einfach so, und wir müssen entsprechend planen und lernen, damit umzugehen.
    Wir machten also weiter wie gehabt, mit all den banalen, manchmal aber auch angenehmen Dingen unseres Lebens. Der Unterricht war für diesen Sommer zu Ende, aber ich hatte noch eine Ballettstunde bei Miss Wright vor mir. Auf meinem Weg ins Klassenzimmer kam ich an Mr. Enders vorbei, der an seinem kleinen Schreibtisch saß. Es war ein heißer, schwüler Tag, und er war eingenickt und lehnte mit geschlossenen Augen und offenem Mund an der kühlen Gipswand. Ich ging ganz leise an ihm vorbei, da ich keinen Grund sah, ihn zu stören.
    Im Klassenzimmer gesellte ich mich zu Miss Wright, Vera und den anderen Mädchen. »Hi Zoey«, begrüßte mich Miss Wright. Sie war viel strenger und einschüchternder als ihr Mann, Mr. Caine, aber ich mochte sie trotzdem. Sie wirkte stets, als fühle sie sich in ihrem Körper wohl – ganz im Gegensatz dazu, wie ich mich in jenem Jahr fühlte. Ihre tiefbraune Haut glänzte geheimnisvoll. Wie das meiner Mom hatte auch ihr Haar ein paar graue Strähnen, aber im Gegensatz zu ihr trug Miss Wright es immer streng zusammengebunden. Sie hatte den Körper einer Tänzerin – einen normalen oder eher schlanken Oberkörper und kräftige, durchtrainierte

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