Dylan & Gray
Traum gestohlen. Vielleicht gilt der Neidanfall auch einfach Brandons ganzem Leben: Studium, Baseball, Freundin mit Karrierechancen in der Pornobranche …
»Prima«, sagt Brandon. »Ich kann dir Plätze in der ersten Reihe besorgen.«
Gray knirscht mit den Zähnen und nickt. »Klingt super«, murmelt er.
Klar, denke ich und betrachte seine verbitterte Miene. Das klingt sensationell.
Dann stehen wir ein paar Sekunden schweigend herum. Kim pustet eine Kaugummiblase auf und lässt sie zwischen den Zähnen zerplatzen – ihr bisher einziger Gesprächsbeitrag. Gray wippt auf den Zehen vor und zurück, als würde er am liebsten weglaufen. Spontan trete ich vor und greife nach seiner Hand. Er schaut überrascht erst auf mich und dann auf unsere zärtlich verwobenen Finger. Wie so oft sage ich das erste, was mir in den Sinn kommt.
»Willst du ihm nicht die tollen Neuigkeiten erzählen?«
»Welche Neuigkeiten?«, fragt er mit einer gewissen Panik im Blick.
Ich werfe Brandon ein entschuldigendes Lächeln zu. »Gray wird wohl kaum an deiner Uni anfangen«, sage ich und wende mich dann wieder zu Gray um. »Immerhin bist du gerade von der Duke University angenommen worden.«
Brandons Augenbrauen schießen nach oben. »Echt? An der Ostküste? Das ist voll beeindruckend.«
Gray reagiert nur mit einem verwirrten Blinzeln.
»Und was ist mit Stanford?«, füge ich hinzu. »Da könntest du ein Stipendium der Philosophischen Fakultät bekommen. Es gibt Wichtigeres im Leben als Baseball, stimmt’s?« Ich lächele Brandon triumphierend an.
»Mmh«, sagt Gray, »mal sehen.«
»Also, tschüss dann, hat mich gefreut, euch kennen zu lernen«, sage ich und ziehe Gray hinter mir her. Brandon steht da und winkt uns nach. Er sieht immer noch ganz verblüfft aus. Kim schaut nicht einmal hoch, so beschäftigt ist sie damit, den makellosen Zustand ihres Nagellacks zu überprüfen. Erst als wir einen Häuserblock weit weg sind, lasse ich Grays Hand los, die warm in meiner liegt. Seine Gewittermiene hat sich keineswegs verzogen, aber in seinen Augen entdecke ich einen Funken von Erleichterung und vielleicht sogar Humor.
»Weißt du was?«, sagt er. »Man sollte dich mit einem Warnblinklicht versehen. Wenn du einen deiner Geistesblitze hast, können die Leute vor dem Einschlag in Deckung gehen.«
»Danke«, sage ich und lächele. Ein besseres Kompliment konnte er mir kaum machen. Noch dazu war es das erste, das ich von ihm bekommen habe.
Stirnrunzelnd betrachtet er mein glückliches Grinsen und schiebt hinterher, dass seine Bemerkung nicht schmeichelhaft gemeint war. »Wieso hast du ihm diese Story erzählt?«
Ich schaue zur Seite und versuche die richtige Antwort zu finden. Auf keinen Fall darf ich sagen, dass ich ihm aus der Klemme helfen wollte. Ein Typ wie Gray reagiert empfindlich auf alles, was wie Almosen wirkt. Besonders, wenn es dabei um Gefühle geht.
»Na gut, am besten gestehe ich dir gleich die Wahrheit«, sage ich. »Leider habe ich eine seltene psychische Krankheit.«
Er wirkt nicht im Geringsten überrascht. Stattdessen mustert er mich gründlich und wartet.
»Mich überkommen häufig seltsame Anfälle von Kreativität, wenn ich den Mund aufmache«, sage ich, was sogar stimmt.
Seine Lippen beginnen zu zucken. »Ist das die neueste Umschreibung für: ›Ich lüge wie gedruckt?‹«
»Nein«, widerspreche ich. »Lügen tut man, um zu manipulieren. Was ich eben gemacht habe, war etwas anderes. Nennen wir es ›Improvisationskunst für den Notfall‹.«
»Bitte?«
Ich verdrehe die Augen zum Himmel. So viel also zu meiner psychischen Krankheit. »Ich habe versucht, dir aus der Klemme zu helfen«, übersetze ich. »Du warst kurz davor, ihm eine reinzuhauen.«
Ich ernte einen bitterbösen Blick, obwohl ich nur die reine Wahrheit gesagt habe.
»Nein, war ich nicht.«
»Du hattest schon die Hände geballt«, erinnere ich ihn, »und hast mit den Zähnen geknirscht. Das würde ich nicht als kumpelhafte Körpersprache bezeichnen.«
»Dir entgeht nicht viel, was?«
Ich schüttele den Kopf. »Hör zu, es tut mir leid, dass ich ihn angelogen habe. Ich wollte nur deine Fingerknöchel retten.«
Und einfach so, ohne Vorwarnung, beginnt Gray zu lächeln. Es ist, als würde jemand in seinen Augen das Licht anknipsen. Sein ganzes Gesicht verändert sich. Ich kann regelrecht zusehen, wie die Eisschichten zu schmelzen beginnen. Wow, denke ich. Das sollte er öfter tun.
»Duke und Stanford?«, fragt er noch immer lächelnd.
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