Dylan & Gray
hier ist Kim, meine Freundin.« Ich halte ihr die Hand entgegen. Kim schüttelt sie schlaff und blickt immerhin für eine Sekunde von ihrem Handy hoch. Ihr Lächeln entblößt strahlend weiße Zähne zwischen rosig schimmernden Lippen, und ihre blauen Augen schauen mich unter einer dicken Schicht von schwarzem Mascara an. Ich kann nur glotzen. Diese Reaktion ist ganz natürlich, schließlich habe ich männliche Hormone, und Kim steckt in so wenig Kleidung, als wolle sie unbedingt von Victoria’s Secret entdeckt werden. Sie sieht aus wie das globalisierte Schönheitsideal höchstpersönlich. Platinblond. Brüste wie Medizinbälle, die ihr fast aus dem knallblauen Top fallen. In ihrem gebräunten Nabel steckt ein Piercing-Ring. Sie wäre das perfekte Motiv für ein Playboyplakat und das weiß sie auch. Was bedeutet, dass ein Normalsterblicher sich gar nicht erst zu bemühen braucht. Früher war Brandon mit Mädchen zusammen, die wie Jungs herumliefen und vor allem einen schrägen Sinn für Humor hatten. Er hat immer behauptet, auf das Aussehen käme es nicht an. Kim ist der Beweis dafür, dass er zum Massengeschmack übergelaufen ist.
Wir haben seit Monaten nicht mehr miteinander gesprochen. Aber ich muss ihn nur anschauen und weiß, dass sein Leben völlig unverändert weitergegangen ist (abgesehen von dem Supermodel an seiner Seite). Ihm ist immer alles zugeflogen und deshalb fehlt ihm der nötige Antrieb, um Neues zu wagen. An unserer Highschool war er der Star der Baseballmannschaft und der König des Abschlussballs. Charisma, blendendes Aussehen, gute Noten … Alle lagen ihm zu Füßen. Wenn die Gerüchte stimmen, soll er schon ab dem ersten Semester für seine Uni als Baseball-Shortstop antreten.
Ich mache ihn mit Dylan bekannt und sie nickt mit einem schrägen Grinsen, gibt ihm aber nicht die Hand. Stattdessen vergräbt sie die Finger in den Hosentaschen und schaut mit aufmerksamen, schmalen Augen zwischen Brandon und mir hin und her.
Brandon lässt seinen Blick an ihr herunterwandern. Als er sich wieder mir zuwendet, hebt er eine skeptische Augenbraue. Ich kann es ihm nicht verdenken. Dylans Klamotten sehen aus, als käme sie gerade von der Gartenarbeit und in Phoenix definieren sich nun einmal alle über ihr Outfit. Dann wird Brandons Miene ernst und mein Magen zieht sich zusammen. Oh, nein. Hoffentlich fängt er nicht damit an. Nicht gerade jetzt.
Dylan
Ich lehne an der Hauswand und schaue zu, wie die Spannung zwischen Brandon und Gray wächst, bis man sie fast mit Händen greifen kann. Zwischen den beiden herrscht so dicke Luft, dass sie sich auswringen ließe. Ich bin kurz davor, einen praktischen Versuch zu starten.
Der Beachbabe-Klon neben mir zupft an seinem trägerlosen Top und seufzt. Ich habe gesehen, wie Gray fast anfing zu sabbern, als er ihr die Hand schüttelte. Total verständlich. Kim hat ein Gesicht wie ein Reklamefoto und ihre Kurven erinnern an eine Eieruhr. Trotzdem schüchtert sie mich nicht ein und der Grund ist folgender: Ich habe mir angewöhnt, bei Menschen als Erstes auf die Augen zu achten. Man kann daran fast alles ablesen. Ist die Person lebendig? Echt? Erlaubt sie sich tiefe Gefühle? Kann sie noch staunen? Kims Augen sind stumpf und glasig. Ihr Blick ist leer, als würde sie die Menschen um sich herum gar nicht wahrnehmen. Kim sieht nur sich selbst.
»Wie kommt deine Familie zurecht?«, fragt Brandon und bei dieser Frage hat er sofort meine volle Aufmerksamkeit. Ich sehe, wie Grays Miene versteinert.
»Gut«, sagt er, aber er klingt, als würde das Wort ihm die Kehle zuschnüren. »Uns geht es gut.«
»Ist deine Mom okay?«, fragt Brandon.
Gray nickt kurz. »Ja, klar. Ich meine, natürlich war es hart, aber sie kommt zurecht.«
»Hast du vor, wieder mit Baseball anzufangen?«, fragt Brandon.
Gray starrt konzentriert auf den Boden und kickt einen unsichtbaren Stein aus dem Weg. »Na ja, ich weiß nicht«, sagt er.
»Ich bin die Sommerferien über in der Stadt. Wenn du trainieren willst, musst du nur anrufen. Wäre doch cool, mal wieder abzuhängen.«
»Klingt gut«, murmelt Gray. Er ist ein furchtbar schlechter Lügner.
»Und bei dir ist alles okay?«, fragt Brandon. Ich sehe, wie Grays Hände sich zu Fäusten ballen. Mein Rücken versteift sich.
»Ja, schon. Wer weiß, vielleicht fange ich auch an der Uni Arizona an. Ich kann ja mal bei einem Spiel zuschauen.«
Die Eifersucht steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er sieht aus, als habe man ihm seinen größten
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