Dystopia

der Andrews Airbase. Die Tatsache, dass ich ein Signal empfange, deutet darauf hin, dass mindestens einer von ihnen noch am Leben ist.» Nach kurzem Nachdenken setzte sie hinzu: «Oder zumindest, dass sein Blut noch nicht geronnen ist.»
    Travis sah sie abwartend an.
    «Sie haben ein Radioisotop im Blut», erklärte sie. «Jod-124, angereichert mit einem Signaturmolekül. Das Trinkwasser in Border Town ist mit einer harmlosen Menge davon versetzt, es verbleibt bis etwa vierundzwanzig Stunden nach der letzten Aufnahme im Körper. Gewisse Satelliten können es orten, aber nur sehr undeutlich. Das Signal ist viel zu schwach, als dass sie es punktgenau fokussieren könnten.» Sie tippte wieder auf das gelbe Rechteck auf der Karte. «Was Sie hier sehen, ist die ungefähre Schätzung des Computers, wo sich das Ziel befindet. Wenn wir in Washington sind, kann ich das Signal direkt mit meinem Handy empfangen. Die Ortung wird dann auf ein Gebäude eingegrenzt. Sogar auf einen speziellen Gebäudeabschnitt, wenn wir erst dicht genug dran sind.»
    Travis rief sich die Denkweise ins Gedächtnis zurück, die er während seiner kurzen Zeit in Border Town angenommen hatte. Logische Beweglichkeit war dort ein so unverzichtbarer Bestandteil des Alltags wie die unvertraute Sprache in einem fremden Land. Jetzt merkte er, wie sie langsam wieder zu ihm zurückkehrte. Radioisotope im Wasser. Lieber Gott.
    «Da geht es wohl auch wieder um Kontrolle», sagte er.
    «Bei dem Jod? Klar. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass jemand Border Town ohne Erlaubnis mit einer Entität zu verlassen versucht. Die einzigen Leute, die, abgesehen von mir, darüber Bescheid wissen, befinden sich jetzt in diesem Rechteck in Washington.»
    «Nichts für ungut», sagte Travis, «Paige vertraut Ihnen ja offensichtlich in dieser Notlage, aber aus welchem Grund hätte sie Ihnen vor gestern Nacht von der Sache mit dem Jod erzählen sollen?»
    «Sie vertraut mir wahrscheinlich so viel oder so wenig wie allen anderen Neulingen – ein bisschen mehr vielleicht, weil sie mich selbst rekrutiert hat –, aber von dem Jod hat nicht sie mir erzählt. Sondern ich
ihr
.»
    Travis wartete.
    «Paige hat den Anstoß dazu gegeben, diese Technologie einzusetzen», sagte Bethany. «Aber auch erst, nachdem ich ihr erklärt hatte, wie sie funktioniert.»
    «Dann haben Sie also nicht gerade in einem Streichelzoo gearbeitet, ehe Sie von ihr rekrutiert wurden.»
    Bethany brachte ein kleines Lächeln zustande. «Nicht direkt.» Sie sah auf ihr Handy hinab. Starrte auf die Karte, als könnte sie dort irgendwo Paige entdecken. «Ich bin vierundzwanzig. Das College habe ich mit neunzehn abgeschlossen. Die letzten fünf Jahre habe ich für ein Unternehmen gearbeitet, das sich für Großkunden aus aller Welt um Datensicherheit kümmert. Internationale Banken. Große Handelskonzerne. Das Heimatschutzministerium. Was das für ein hochsensibles Aufgabenfeld ist, können Sie sich vermutlich denken. Es ist ein bisschen wie bei den Firmen, die die Schlösser für Banktresore herstellen. Wissen Sie, wie das läuft? Tja, es gibt zwar Hunderte Unternehmen, die Tresore und Tresortüren konstruieren, aber die Schlösser stellen sie eben nicht her. Dafür sind auf der ganzen Welt bloß zwei oder drei Unternehmen zuständig. Weil das eben eine dieser Angelegenheiten ist, in die nicht Unmengen von Leuten Einblick haben sollen. Je begrenzter der Kreis von Eingeweihten, desto besser für alle. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem sensiblen Komplex Datensicherheit. Die Systeme, die dem Schutz der größten Konzerne und Regierungsstellen dienen, werden von einer Handvoll Spezialisten geskriptet und betrieben. Und bis zum vergangenen Frühjahr war ich eine von ihnen.»
    Sie blickte aus dem Fenster. Der ganze Himmel war inzwischen rosa, und die Landschaft unter ihnen erwachte in einer wechselnden Abfolge von Licht und Schatten zum Leben.
    «Das ist übrigens auch die Geschichte hinter Renee Turner. Ich will mich jetzt nicht brüsten, aber auf der ganzen Welt gibt es vielleicht zwanzig Leute, die ähnlich firm in Informationssicherheit sind wie ich. Paige kann auf dem Gebiet auch so einiges, aber natürlich ist es was ganz anderes, wenn man sich seit Jahren darauf spezialisiert hat. Renee habe ich heute Nacht mit Hilfe eines gefälschten Studentenausweises erschaffen, den ich noch aus meiner Collegezeit in der Brieftasche hatte. Ich habe mich im Flughafen von Rapid City an einen Tisch im