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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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lag.»
    «Sind Sie ganz sicher, dass Sie das tun wollen?»
    Sie blickte eine ganze Weile in den Wald hinaus, ehe sie schließlich antwortete. «Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe mich fürs Erste von Sicherheiten jeder Art verabschiedet.»
     
    Travis kletterte ihr einen guten halben Meter voraus, um sie notfalls auffangen zu können, falls sie am Seil abrutschte. Aber sie rutschte nicht ab.
    An dem Haufen verrosteter Stahlträger angelangt, prüfte Travis zunächst vorsichtig mit dem Fuß, ob er stabil genug zum Betreten war. Er war sogar wesentlich stabiler als erwartet. Was nicht weiter verwunderlich war, wie Travis nach einem kurzen Blick in die Runde feststellte: Der Trümmerhaufen rostete jetzt seit Jahrzehnten vor sich hin und war unter dem Gewicht von Ästen, Schnee und Eis immer tiefer in sich zusammengesackt. Mit der Folge, dass das Gewirr der Stahlträger nunmehr so untrennbar zusammengerostet war, als wäre alles miteinander verschweißt.
    Ein Kinderspiel aber würde die Überquerung trotzdem nicht werden. Die Trümmer füllten den zwei Stockwerke tiefen Hohlraum zwischen den Grundmauern des Hotels und reichten bis ungefähr in Höhe der Straße. Um zur äußeren Grundmauer zu gelangen, mussten sie einen wahren Schwebebalkenparcours bewältigen, über einem Gewirr aus schartigem, scharfkantigem Metall. Das bisschen Sonnenlicht, das von oben durch die Baumkronen drang, erhellte diesen Haufen nur spärlich, sodass unter ihnen bedrohliches Dunkel gähnte. Kaum vorstellbar, dass dort unten nicht irgendetwas lebte. Travis wandte sich zu Bethany um, die in die Tiefe hinabstarrte. Vermutlich hegte sie gerade ähnliche Gedanken. Er bot ihr seine Hand. Sie nahm sie.
    Innerhalb einer halben Minute hatten sie den Parcours aus Stahlträgern überquert und kletterten über ein teilweise eingestürztes Stück Grundmauer auf die Vermont Avenue. Travis spähte die Straße entlang nach Süden. Zwischen den dichten Kiefern nahmen die wenigen Lichtstrahlen, die vom bewölkten Himmel herunterdrangen, eine grünliche Färbung an. Hie und da kam lautlos ein leuchtend rotes oder gelbes Blatt von einem der Laubbäume herniedergesegelt. Die Straße war überraschend frei von Unterholz; in den Rissen, die sich kreuz und quer durch den Asphalt zogen, wucherte zwar jede Menge – inzwischen verdorrtes – Unkraut, aber ansonsten war die Straße noch gut zu erkennen. Was wohl mit den Kiefern zusammenhing. Ihre herabgefallenen Nadeln führten eine Veränderung der Bodenqualität herbei, was rings um sie herum kleinere Pflanzen absterben ließ.
    Durch das Dickicht der Bäume hindurch war in der Ferne das fünfzehnstöckige Hochhaus an der M Street zu erkennen, in dem Paige in der Gegenwart festgehalten wurde. Travis konnte sein Stahlträgerskelett eben noch hinter einem dichten Birkengehölz aufragen sehen, dort, wo sich einst der Kreisverkehr befunden hatte.
    Er zog die SIG Sauer aus dem Hosenbund und reichte sie Bethany. Sie sah sich die Pistole rasch an, tastete intuitiv mit dem Daumen nach dem Magazinlöseknopf, um sich damit vertraut zu machen. Hob sie dann vors Gesicht und zielte probehalber, um die Visierung zu prüfen.
    «Danke», sagte sie.
    Travis händigte ihr die drei Ersatzmagazine aus, und sie steckte sie ein.
    Dann nahm er die Flinte vom Rücken und lud durch, sodass eine Patrone in die Kammer ruckte. Aus der Hosentasche holte er eine weitere Patrone heraus – er hatte noch ein Dutzend eingesteckt – und schob sie als Ersatz für die andere in die Nachladevorrichtung. Fünf Schuss hatte er nun auf Lager.
    Er drehte sich noch einmal nach dem Seil um, das über den Stahlträgern baumelte, und sah hoch bis zu dem unwirklichen Anblick der Iris, die acht Meter über ihnen in der Luft schwebte. Von seinem Standort hier unten aus konnte er nur die Decke des Hotelzimmers sehen und zwei Blätter des Deckenventilators über dem Bett.
     
    Im Laufschritt machten sie sich auf den Weg. Behielten den Wald ringsumher aufmerksam im Auge, während sie die Vermont Avenue hinabhasteten, und hielten die Ohren gespitzt, um etwaige Geräusche zwischen den Bäumen oder auch ein jähes Verstummen der Vögel sofort mitzubekommen, was auf ein gefährliches Raubtier hindeuten könnte.
    Von ebener Erde aus boten die noch verbliebenen Gebäudeskelette einen ganz anderen Anblick als von oben aus der Präsidentensuite. Manche neigten sich schon in so bedenklichen Winkeln, als könnten sie jeden Moment zusammenstürzen. Viele

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