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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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an das scharrende Geräusch der Pfoten, das er gehört hatte, als unten in der Finsternis die Wölfe vorüberliefen.
    «In der Ukraine gibt es eine Stadt namens Prypjat», sagte Bethany unvermittelt. «In unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerks von Tschernobyl.»
    Travis zog den Kopf aus der Öffnung zurück und wandte sich ihr zu.
    «Die Stadt hatte früher fünfzigtausend Einwohner, die wenige Tage nach dem Reaktorunglück evakuiert wurden», fuhr sie fort. «Seither ist Prypjat eine Geisterstadt, die vor allem Biologen fasziniert. Weil sie eine Vorschau darauf liefert, wie es auf der Welt aussähe, wenn wir Menschen eines Tages einfach verschwänden. Schon nach wenigen Jahren haben dort Baumschösslinge mitten im Straßenasphalt Wurzeln geschlagen. Wir können davon ausgehen, dass hier dasselbe passieren würde. Anhand des Alters der Bäume auf der anderen Seite können wir also Rückschlüsse auf den zeitlichen Rahmen ziehen, mit dem wir es hier zu tun haben. Wie viel Zeit könnte vergangen sein?»
    Travis nickte. «Bei einer Kiefer da draußen, dem höchsten Baum weit und breit, habe ich siebenundsechzig Astringe gezählt. Ein Astring entspricht mehr oder weniger einem Jahr.»
    «Gehen wir also mal von siebzig Jahren aus», sagte Bethany. «Auf der anderen Seite der Öffnung ist es folglich siebzig Jahre nach dem Weltuntergang. Wann immer der genau stattfinden mag.»
     
    «Alles Weitere fügt sich ziemlich mühelos zusammen», sagte Travis, der wieder an den Fenstern seine Runden drehte.
    Bethany saß mit demselben betäubten Gesichtsausdruck wie zuvor auf dem Sessel.
    Travis fuhr fort: «Paige und die anderen haben die Zylinder in Border Town aktiviert. Wer weiß, was sie dort auf der anderen Seite gesehen haben. Vielleicht ist der Gebäudekomplex an diesem fernen Punkt in der Zukunft einfach nur verlassen. Wie dem auch sei, am nächsten Morgen haben sie jedenfalls die Versuche mit den Zylindern oben in der Wüste fortgesetzt und viel Zeit dort verbracht. Sie haben Funk- und Satellitentechnik durch die Öffnung geschafft und auf der anderen Seite aufgebaut. Weil sie herausfinden wollten, ob zu der Zeit noch irgendjemand am Leben ist. Ob dort noch irgendjemand Kommunikationssignale aussendet.»
    Bethany wandte ihm das Gesicht zu. Ihr Blick hatte etwas Gequältes.
    «Ob sie wohl irgendwen gehört haben? Das ist die Frage», sagte sie.
    Travis dachte kurz nach. «Tja, irgendetwas haben sie jedenfalls in Erfahrung gebracht. Etwas so Spezifisches, dass sie entschieden, sich an den Präsidenten zu wenden, weil sie sich von ihm dazu Aufschluss erhofften.»
    «Das erste Stück des Puzzles», sagte Bethany.
    Travis nickte. «Es könnte alles Mögliche gewesen sein. Irgendein militärisches Signal, das auch nach Jahrzehnten noch selbsttätig auf einer Dauerschleife gesendet wurde. Oder irgendetwas ganz anderes. Wer weiß. Und wenn sie selbst nicht daraus klug wurden, was lag da näher, als sich an den Präsidenten zu wenden? Um über ihn in Kontakt zu den Leuten zu treten, die über das erforderliche Expertenwissen verfügten.»
    Bethany dachte darüber nach. Nickte bedächtig.
    Travis kehrte wieder zu der Öffnung zurück und beugte sich hindurch. Ließ den Blick über die Ruinen der Stadt schweifen.
    Was war bloß geschehen? Ein Atomkrieg schied aus, denn in dem Fall wäre Washington restlos eingeäschert worden. Denkbar, dass sich an der Stätte der Verwüstung Jahre später wieder ein Baumbestand entwickelte, Stahlgerüste von Gebäuden aber würden ganz bestimmt nicht zurückbleiben.
    «Paige hatte einen ganz konsequenten Plan gefasst», sagte Travis. «Sie wollte mit den anderen zusammen mit dem Zylinder an verschiedene Orte reisen, dort in die Zukunft überwechseln und in den Ruinen nach Indizien suchen. Um herauszufinden, wie genau die Welt untergeht. Und wie sich das verhindern lässt. Diesen Plan werden sie dem Präsidenten vermutlich dargelegt haben.» Er zog den Kopf aus der Öffnung zurück und wandte sich zu Bethany um. «Also, entwickeln wir mal eine Theorie. Angenommen, der Präsident ist jetzt gerade in etwas verwickelt, wovon kein Mensch etwas erfahren soll. Etwas, das bereits geschieht oder vielleicht
demnächst
in Gang gesetzt werden soll. Paige und die anderen haben in der Zukunft irgendeinen greifbaren Fingerzeig darauf entdeckt. Der ihnen zwar noch keine konkreten Rückschlüsse erlaubte, der Präsident aber konnte ihn sofort identifizieren. Und als er diesen Beleg sah, wurde ihm klar, was für

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