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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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Sexismus zu kaschieren?»
    «Ja.»
    Travis schnallte sich die Flinte vom Rücken und reichte sie ihr. Nachdem er kurz noch einmal die Risse im Beton gemustert hatte, drehte er sich auf dem Stahlträger um, beugte sich ein wenig vor und spähte hinab. Im vierzehnten Stock gab es unterhalb der Fläche keinen intakten Boden, der die Wucht des Aufpralls bei einem Einsturz hätte abmindern können, und auch darunter herrschte gähnende Leere, bis zu einer Fläche im elften Stock, die vermutlich so viel nützen würde wie eine große Papierserviette, die dort zwischen die Stahlträger gespannt war. Ab da gab es gar nichts mehr, was einen Sturz in die Tiefe noch hätte aufhalten können. Travis wandte sich wieder zu dem Schreibtisch um.
    «Vielleicht war das ja das Büro des Geschäftsführers», sagte Bethany, es klang, als wollte sie vor allem ihre innere Anspannung überspielen. «Oder von sonst irgendeinem hohen Tier. Einen mit Bolzen im Beton verankerten Schreibtisch haben wir jedenfalls nirgendwo sonst gesehen.»
    «Vielleicht sind ja alle übrigen Böden mit Bolzenverankerungen längst durchgebrochen und eingestürzt. Vielleicht ist das hier die letzte Fläche dieser Art, die nur darauf wartet, dass ein trockenes Blatt auf ihr landet, um dann mit Getöse einzustürzen.»
    «Ihr Gerede ist nicht gerade hilfreich.»
    Travis stellte einen Fuß auf den Beton. Verlagerte ein Viertel seines Gewichts darauf. Die Fläche rührte sich nicht. Vielleicht war sie ja doch stabiler, als es den Eindruck machte. Er verlagerte ein weiteres Viertel seines Gewichts auf den Fuß. Noch immer alles fest. Er atmete tief durch und zog den zweiten Fuß nach. Die Fläche fühlte sich stabil an. Er sah zu Bethany, sie schien kein bisschen erleichtert.
    «Ich weiß», sagte Travis. «Hier am Rand dürfte sie ohnehin noch am stabilsten sein.»
    «Bleiben Sie bloß am Leben.»
    «Ich werde mir Mühe geben.»
    Er unternahm einen zweiten Schritt. Einen dritten.
    Beim vierten Schritt nahm er etwas wahr, ein fast unmerkliches Nachgeben der Fläche, höchstens um ein paar Millimeter. Er hörte, wie Bethany hinter ihm vor Schreck nach Luft schnappte, aber sie sagte nichts.
    Nur noch drei Schritte trennten ihn von dem Schreibtisch, dann wäre er dort angekommen, wo der einstige Besitzer früher gesessen hatte.
    Er setzte einen Fuß vor und verlagerte vorsichtig sein Gewicht. Die Fläche rührte sich nicht.
    Noch zwei Schritte.
    Er unternahm den nächsten Schritt. Alles ruhig.
    Vielleicht war es ja anmaßend von ihm, zu glauben, dass seine Gegenwart dieser fünf Tonnen schweren Materialmasse, die mit einem hundert Kilo schweren Schreibtisch auf dem Buckel Tausende Unwetter überstanden hatte, auch nur das Geringste ausmachte. Vielleicht konnte er eine Stunde lang darauf Rad schlagen, ohne sie auch nur im Mindesten damit zu beeindrucken.
    Er hob langsam den hinteren Fuß, führte ihn nach vorn und setzte ihn behutsam fünfzehn Zentimeter vor dem Schreibtisch auf den Beton. Atmete tief durch und verlagerte seinen Schwerpunkt im Zeitlupentempo nach vorn, bis er gleichmäßig auf beiden Füßen ruhte.
    Da brach ein Bewehrungsstab knackend entzwei, und die Mitte der Fläche sackte so unvermittelt um etwa fünfzehn Zentimeter ab, dass Travis nach vorn gegen den Schreibtisch geschleudert wurde.
    Bethany schrie auf.
    Es hätte nicht viel gefehlt, und Travis wäre mit voller Wucht über die Schreibtischplatte gekippt und schwer wie ein Stein auf den Beton dahinter geknallt. Bethany schrie ihm irgendetwas zu, doch er verstand sie nicht, weil ihm das Blut so laut in den Ohren rauschte. Es gelang ihm eben noch, seinen Vorwärtsdrall zu stoppen, indem er sich mit beiden Händen auf dem glatten Schreibtisch abstützte, und dann kehrte mit einem Mal wieder Stille ein. Er hörte seine eigenen Atemzüge. Auch Bethanys Atem konnte er hören.
    Er wandte sich zu ihr um. Sie war kreidebleich, ihr Atem ging kurz und stoßweise. Ein paar Sekunden lang sah sie ihn direkt an, ehe sie den Blick nach rechts unten senkte. Travis folgte ihrem Beispiel.
    Der breiteste Querriss war bis zu dem Stahlträger auf der einen Seite aufgebrochen, woraufhin sich der Beton dort von dem Träger gelöst hatte und nahezu vollständig aus der Verankerung gebröckelt war, bis auf eine einzige, faustgroße Stelle. Lediglich diesem Stück Beton, das eben noch so an dem Träger festhaftete, war es zu verdanken, dass die Fläche noch nicht völlig eingestürzt war. Und auch jetzt noch hielt.
    Bethany

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