Dystopia
fand ihre Stimme wieder. «Runter.» Sie winkte ihn mit beiden Händen zurück, zu sich auf den Stahlträger.
Travis stützte sich weiter mit beiden Händen auf dem Schreibtisch ab, sodass sein Gewicht hauptsächlich auf dem Tisch ruhte. Er sah zu den Schubfächern hinab. Es konnte ihm durchaus gelingen, alle vier zu öffnen, ohne sein Gewicht dabei allzu sehr verlagern zu müssen.
«Travis», sagte Bethany.
Er wandte sich wieder zu ihr um.
Ihre Augen beschworen ihn:
nicht.
«Ist schon in Ordnung», beschwichtigte er. Was hätte er auch sonst sagen sollen?
Er richtete den Blick auf die Tablettschublade oben links. Hob die linke Hand von der Tischplatte. Spürte, wie das Gewicht, das nun nicht mehr auf ihr ruhte, sich auf die rechte Hand verlagerte. Was an dem Druck, der durch den Schreibtisch auf die Fläche ausgeübt wurde, so gut wie gar nichts änderte.
Er klemmte seine vier Finger hinter die abgerundete Oberkante der Schublade und drückte den Daumen gegen den Rand der Schreibtischplatte direkt darüber, stieß mit dem Daumen und zog mit den Fingern. Kurz spürte er einen Widerstand. Dann hörte er den Verschlussmechanismus zerbröseln wie eine Salzstange, und die Schublade glitt auf Plastikrollen geschmeidig auf.
Seiten und Boden der Schublade bestanden aus demselben Material wie der restliche Schreibtisch und waren tadellos erhalten. Was sich vom Inhalt der Schublade nicht behaupten ließ. Drei Büroklammern waren derart verrostet, dass sie anmuteten wie Zeichnungen ihrer selbst, ausgeführt mit orangeroter Kreide. Travis pustete, und sie lösten sich in nichts auf. Ein Tacker war zu einem unförmigen Klumpen verrostet. Direkt daneben befand sich ein kleiner Quader aus verrostetem Metall, der Travis zunächst Rätsel aufgab. Dann begriff er: Es waren Heftklammern, deren Kartonschachtel längst vermodert war und die beim Verrosten miteinander verbacken waren. Neben drei 5-Cent-Münzen und einer Vierteldollarmünze lag eine Ansammlung Gummibänder, zu vertrockneten Krümeln zerbröselt. Alles war von einer Schicht Moder überzogen, bei der es sich einst um Papier gehandelt hatte: Notizzettel, Haftnotizen, Geschäftskarten, Quittungen womöglich.
Und das war alles. Sonst befand sich nichts in der Schublade. Nichts mit irgendeinem Namen darauf.
Travis betrachtete das Schubfach darunter. Ein Fach für Hängeordner. Lohnte es sich überhaupt, sich damit abzumühen? Was konnte sich außer Papier schon darin befunden haben? Was würde sich außer einer dicken Schicht Moderstaub heute noch darin befinden?
Er öffnete das Fach.
Es enthielt eine dicke Schicht Moderstaub.
Er griff vorsichtig mit der Hand hinein und kramte kurz darin herum. Der Moder stäubte in dicken Flocken auf, die über dem Fach sogleich vom Wind erfasst und davongetragen wurden. Unter der Moderschicht befand sich nichts.
Travis wandte sich behutsam zur anderen Seite, ohne dabei seinen Körper zu verlagern. Dann stützte er wieder die linke Hand auf den Tisch und hob die rechte, ganz langsam, damit sich der Druck verlagern konnte. Er fasste die anderen beiden Schubladen ins Auge.
Diesmal versuchte er es als Erstes mit dem Aktenfach. Eine dicke Schicht Moder. Nichts darunter.
Er zog die Tablettschublade auf.
Leer.
Nicht einmal der modrige Staub von längst zerfallenem Papier.
Er atmete aus. Schloss die Augen. Öffnete sie wieder und fing an, sich aufzurichten.
Und dann hielt er abrupt inne.
Weil sich in der Schublade eben doch etwas befand.
Etwas Schmales, Schwarzes, ganz am hinteren Ende, das sich kaum von dem dunklen Kirschholzimitat abhob und daher leicht zu übersehen war. Ein Füllfederhalter, anscheinend kein billiges Modell. Travis nahm ihn heraus und hob ihn ans Licht. Die Metallteile – die Klammer an der Verschlusskappe und die Feder – waren dunkel verrostet, der Schaft aber sah noch einwandfrei aus. Er bestand aus einem Material, das sich stabiler anfühlte als normaler Kunststoff, vermutlich ein besonderes Material. Versehen mit ein paar sehr dezenten Schnörkeln hier und da, ein absolut nobles Stück. Genau die Sorte Füllfederhalter, die ein Spitzenmanager zu besonderen Anlässen hervorholen würde – zur Unterzeichnung der Abschlussverträge einer feindlichen Übernahme etwa. Travis rollte den Federhalter zwischen den Fingern.
In den Schaft war ein Name eingraviert: ELDRED WARREN .
Travis wandte sich um und hielt den Füller in die Höhe, um Bethany die Gravur zu zeigen.
«Sehr gut», sagte sie. «Könnten
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