Dystopia
Jahren über das Unternehmen abgewickelt worden. Und das ist alles zu ihm.»
Längere Zeit blieb es still, während sie auf ihrem Handy die Informationen zu dem zweiten Mann aufrief.
«Isaac Finn.» Sie schnaubte belustigt. «Das glaubt ihr mir nie, aus welcher Richtung der Typ ursprünglich kommt.»
«Schieß los», sagte Travis.
«Humanitäre Hilfe.»
Paige drehte sich zu ihr um. «Wie bitte?»
«Er ist fünfundfünfzig. Hat weder studiert noch einen Beruf gelernt, sondern ist nach Abschluss der Highschool 1973 direkt ins Peace Corps eingetreten, nachdem er sich schon als Jugendlicher jahrelang für alle möglichen gemeinnützigen Zwecke engagiert hatte. War zehn Jahre lang für das Corps in aller Welt tätig, ist dann in die Staaten zurückgekehrt und hat ein Jahr lang Spenden gesammelt, um seine eigene Organisation ins Leben zu rufen,
For Good International
. Die Gruppe verfügte zu ihrer besten Zeit über ein Stiftungskapital von rund siebzig Millionen Dollar und konnte auf über fünftausend freiwillige Helfer und einen ganzen Stab hauptamtlicher Mitarbeiter zurückgreifen.»
«Bist du sicher, dass es sich hier nicht um einen anderen Isaac Finn handelt?», fragte Paige.
Bethany rief per Doppelklick etwas auf dem Display auf. «Hier ist sein Passfoto.» Sie reichte Paige das Handy.
«Doch, er ist es», sagte Paige, während sie das Foto eingehend betrachtete, offensichtlich bemüht, die neuen Informationen mit dem Eindruck in Einklang zu bringen, den sie von dem Mann gewonnen hatte. Nach kurzer Zeit gab sie es auf und reichte Bethany das Handy zurück.
Bethany wandte sich wieder den Informationen zu, die sie gesammelt hatte.
«Beim Aufbau der Gruppe und bei seiner Herangehensweise hat er sich an seinen Erfahrungen beim Peace Corps orientiert. Er hatte gesehen, dass Hungersnöte im Allgemeinen nicht durch Dürren und dergleichen ausgelöst werden, sondern durch bewaffnete Konflikte und den daraus folgenden Zusammenbruch der Infrastruktur. In Krisengebieten verfolgte seine Organisation also das Ziel, an bestimmten Orten die Stabilität wiederherzustellen und zentrale Akteure vor Ort zu stärken, in der Hoffnung, dass ihr Beispiel dann auf die übrige Bevölkerung ausstrahlte. Er hat seinen Ansatz mit größtem Engagement verfolgt und dabei auch ungewöhnliche Methoden eingesetzt. In Dörfern etwa ließ er die führenden Männer durch Psychologen begutachten, um herauszufinden, welche von ihnen nicht bloß am Anhäufen persönlicher Macht interessiert, sondern zu verantwortungsbewusster Führung fähig waren. Diese guten Leute unterstützte Finn anschließend finanziell, um die Dinge so in die richtige Richtung zu steuern. Diesen Ansatz hat er sogar auf ganze Gemeinschaften ausgedehnt. Unruhestifter sollten isoliert und dafür Menschen mit gewissen Grundattributen gefördert werden: Freundlichkeit, Sorge um andere, Ablehnung von Gewalt. All das zu dem Zweck, an genügend Orten wieder Ansätze von Stabilität zu schaffen, während gleichzeitig die eigentliche Infrastruktur wiederhergestellt wurde. Kein so übler Grundgedanke, schätze ich.»
«Hat es funktioniert?», fragte Travis.
«Eher nicht, würde ich sagen. Er hat es zehn Jahre lang versucht, in den verschiedensten Krisenregionen. Äthiopien, Jugoslawien, Somalia. Schließlich dann in Ruanda. Das war für ihn, glaube ich, eine Art endgültiger Wendepunkt. Er hat sich im April 1994 vor Ort aufgehalten, im ersten Monat des Völkermords. Und dann hat er einfach aufgehört. Hat die Leitung der Organisation seinen Stellvertretern übertragen, alle Verbindungen gekappt und der Sache völlig den Rücken gekehrt. Die nächsten Jahre über hat er nicht viel gemacht. Hat sich in Washington niedergelassen. War als Berater für Hilfsorganisationen in ganz Amerika tätig, aber auch nur sporadisch. Ende der Neunziger hat er dann auch damit aufgehört und ist, wenn man nach öffentlicher oder sogar privater Dokumentenlage geht, mehr oder weniger abgetaucht. Zur Jahrtausendwende wurde unter seinem Namen kein Bankkonto mehr geführt, keine Immobilie, kein Besitz irgendwelcher Art. Soweit ich es beurteilen kann, tritt sein Name erst wieder an jener Bürotür im fünfzehnten Stock in Erscheinung. Wie genau er dort gelandet sein mag, weiß ich allerdings nicht.»
Sie verstummte.
«Sonst noch irgendetwas?», fragte Travis.
«Nicht zu Finn. Ich habe etwas Interessantes zu seiner Ehefrau gefunden, weiß aber nicht, ob das irgendwie von Belang ist.» Sie rief die
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