Dystopia
unterwegs das Benzin ausgegangen sein.»
«Viele Autos würden ja von vornherein zurückgelassen», sagte Paige. «In Washington habt ihr zwar keine Autos gesehen, aber man denke an die Familien in den Vororten, die zwei bis drei Autos in der Garage stehen haben. Die würden sie wohl kaum alle mitnehmen. Sie würden den Wagen nehmen, der für die weite Fahrt am ehesten geeignet wäre, und die übrigen zurücklassen.»
Travis nickte. Die Rechnung ging auf, mochte auch die Wirklichkeit, die davon umrissen wurde, noch so schwer zu begreifen sein.
«Yuma», sagte Paige und starrte nach Osten. Die Stadt aber – oder besser ihre Überreste – befanden sich noch meilenweit außer Sichtweite. Travis sah, wie sie die Augen verengte. Vermutlich stellte sie sich gerade vor, wie es aussah, wenn sich dreihundert Millionen Menschen an einem Ort versammelten.
«Das kann nicht sein», sagte sie dann. «Nicht einmal annähernd. Die gesamte Bevölkerung der Vereinigten Staaten innerhalb der Stadtgrenzen von Yuma, Arizona? Ruft euch die Menschenmassen damals in Woodstock vor Augen. Das waren eine halbe Million Besucher. Um die Gesamteinwohnerzahl der USA zu erhalten, müsste man diese Zahl mit sechshundert multiplizieren. Meint ihr ernsthaft, man könnte in Yuma sechshundert Woodstock-Festivals auf einmal abhalten?» Sie starrte wieder hinaus in die Wüste. Schüttelte den Kopf. «Das wäre eine mehr als üble Idee. Der helle Wahnsinn.»
«Aber trotzdem wurde sie in die Tat umgesetzt.» Travis deutete mit dem Arm auf die Autos ringsumher. «Dies war, warum auch immer, die offizielle Reaktion, nachdem mit Umbra etwas schiefgegangen war. Die Leute würden wohl kaum einfach so beschließen, spontan hierherzukommen. Sie müssten dazu aufgefordert werden. Sie
werden
dazu aufgefordert werden. In unserer eigenen Zeit … Lieber Gott, all das wird sich in wenigen Monaten abspielen.»
«Aber warum?», fragte Paige. «Warum sollte die Regierung sie dazu auffordern, und warum sollten die Leute dem Folge leisten? Was auch immer im Rest des Landes schiefgelaufen sein mochte, alle Leute hierherzuschicken, konnte doch beim besten Willen keine Lösung sein. Das würde auf massenhaften Selbstmord hinauslaufen. Es gäbe doch gar nicht genügend Unterkünfte, um sie alle unterzubringen, geschützt vor der heißen Sonne. Und woher sollten die Lebensmittel für all diese Menschen kommen? Innerhalb einer Woche wären die meisten tot.»
«War die Lage vielleicht schon so verzweifelt?», warf Bethany ein. «Was, wenn Yuma irgendwie eine zeitweilige Zuflucht vor dem bietet, was sich gerade im Rest des Landes abspielt? Warum oder wieso genau, keine Ahnung … aber nehmen wir es doch mal an. Angenommen, Umbra entfaltet eine so schreckliche Wirkung, dass es sich lohnt, herzukommen, einfach nur, um dem anderen zu entfliehen. Auch dann, wenn man trotzdem sterben muss.»
Die Vorstellung jagte Travis einen kalten Schauer über den Rücken, trotz der sengenden Sonne. Paige und Bethany ging es offenbar nicht anders.
«Wieso ausgerechnet Yuma?», fragte er. «Was hatte es zu bieten?» Ihm kam wieder die Überlegung in den Sinn, die er während des Flugs angestellt hatte, dass Yumas zentrale Bedeutung irgendwie mit seinem besonderen Klima zusammenhing. «Was, wenn Umbra sich mancherorts schlimmer auswirkt als anderswo? Wenn die Wirkung irgendwie mit der Feuchtigkeit zusammenhängt, die an einem Ort herrscht? Dann wäre ein Ort wie Yuma eine Art –» Doch da fiel ihm bereits auf, dass dieser Denkansatz in die Irre führte. Er schüttelte den Kopf. «Nein. In dem Fall gäbe es viele andere Fluchtmöglichkeiten. Yuma mag ja der trockenste Ort der USA sein, aber es gibt massenhaft andere Städte mit ähnlich trockenem Klima. Las Vegas dürfte kaum weniger trocken sein, und es ist wesentlich größer. Himmel, sogar Los Angeles käme vom Klima her in Frage, und dort ließen sich problemlos ganze Völkerscharen unterbringen. Womit zwar die Lebensmittelfrage noch nicht geklärt wäre, aber es wäre immer noch besser, als alle hier an diesem Ort zusammenzuzwängen.»
«Dann sind sie also nicht des Klimas wegen hergekommen», sagte Bethany. «Weswegen dann? Das ist die Frage.»
Zwanzig Minuten lang streiften sie zwischen den Autos umher. Kaum ein Fahrzeug war abgeschlossen. Entweder waren die Halter davon ausgegangen, dass ein Diebstahl nicht zu befürchten war, oder sie hatten nicht die Erwartung, ihren Wagen jemals wieder zu benutzen.
Sie öffneten Türen,
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