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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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tasteten unter Sitzen herum, nahmen Handschuhfächer in Augenschein, ließen Kofferraumdeckel aufschnappen. In nahezu allen Fahrzeugen fanden sie im Kofferraum oder auf der Ladefläche mehrere Ersatzkanister für Benzin vor. Mitunter waren diese Kanister sogar noch gefüllt, besonders bei Autos aus benachbarten Bundesstaaten. Dank der versiegelten Verschlüsse war der Inhalt nicht verdunstet.
    Hier und da stießen sie auch auf kleinere Hinterlassenschaften. Fastfoodverpackungen. Kugelschreiber. Kleingeld. In vielen Kofferräumen fanden sie Schusswaffen vor, gleich neben den nicht aufgebrauchten Benzinvorräten. Die Leute hatten es also vorgezogen, sich bewaffnet auf die Reise zu machen – hatten ihre Waffen zumindest nicht zu Hause zurücklassen wollen –, bei ihrer Ankunft in Yuma aber keinen Grund mehr gesehen, sie weiter bei sich zu führen.
    Noch etwas anderes war bei den Autos zurückgelassen worden: Fahrräder. Allzu viele waren es zwar nicht, die ihre Fahrräder auf die Reise mitgenommen hatten, aber sie alle hatten sie am Ende zurückgelassen, in Haltern hinten am Kofferraum oder auf den Ladeflächen. Was Travis zunächst widersinnig erschien. Warum sollte man auf sein Fahrrad verzichten, wenn man noch über dreißig Meilen Weg durch die Wüste vor sich hatte? Dann schaute er zur offenen Straße und meinte zu verstehen. Wahrscheinlich hatte man hier eine Art Shuttle-System eingerichtet, um die Flüchtlinge in Empfang zu nehmen. Busse, offene Lastwagen oder sogar Pick-up-Trucks, die ständig auf der Straße hin- und herpendelten, um Neuankömmlinge aufzusammeln und in die Stadt zu bringen. Die Sache war also generalstabsmäßig geplant und organisiert worden.
    «Ich habe etwas gefunden», rief Bethany.
    Sie beugte sich durch die Beifahrertür in einen weißen Minivan, zwei Autos von Travis entfernt. Paige klappte gerade den Kofferraumdeckel eines Cadillac auf, der gegenüber auf der anderen Seite der Gasse geparkt war. Sie traf zur selben Zeit bei Bethany ein wie Travis.
    Im Konsolenfach des Van war Bethany auf einen Spiralblock gestoßen. Das nach wie vor leuchtend gelbe Deckblatt war mit kindlichen Zeichnungen bedeckt, ausgeführt mit blauer Tinte. Dargestellt waren traurig blickende, weinende Strichmännchen, deren Tränen halb so groß wie ihre Köpfe waren. Bethany schlug den Block auf. Auch die Blätter im Inneren waren mit Zeichnungen bedeckt. Noch mehr traurige Menschen. Auf einigen Zeichnungen waren bestimmte Orte dargestellt. Ein Supermarkt etwa, zu erkennen an den mit Wachsmalstiften ausgemalten Äpfeln und Apfelsinen. Eine andere Zeichnung mutete an wie ein Schulkorridor. Auf den meisten Blättern bildeten einfache Türen oder Bäume den Hintergrund. Alle dargestellten Menschen aber machten einen tieftraurigen Eindruck, bargen zum Teil sogar das Gesicht in den Händen, unter denen Tränen hervorquollen. Eine Erklärung für diese Tränen aber fand sich nicht auf diesen Bildern. Keinerlei Hinweis darauf, was eigentlich los war, warum genau die Leute so traurig waren.
    Trüber Dezember.
    So wurde dieser Monat in den Medien genannt.
    Aber warum?
    Nach einem Dutzend Blättern mit Zeichnungen folgte ein letztes Bild, auf dem der Van selbst dargestellt war. Das Kind und eine langhaarige Erwachsene – vermutlich die Mutter des kleinen Künstlers – saßen auf den Vordersitzen. Zwar noch immer traurig blickend, aber nicht weinend. Das übrige Innere des Van war mit allerlei krakelig und ungelenk ausgeführtem Hausrat beladen: Ein Toaster war zu erkennen, ein Staubsauger, ein Computer. Essbesteck und Geschirr, Töpfe und Pfannen. Mit Kleidung vollgestopfte Tüten.
    In dem Van war nichts davon zurückgeblieben. Travis konnte an den Vordersitzen vorbei in den geräumigen Laderaum blicken, wo die Rücksitze zum Boden hinuntergeklappt worden waren. Er war vollkommen leer.
    Auf der nächsten Seite des Blocks befand sich keine Zeichnung, sondern ein Text – in der übergroßen, unordentlichen Handschrift eines Kindes und dennoch von großer Mühe zeugend.
    Hoffendlich kriegen wir ein Tickit wenn wir nach Yuma kommen, aber wir werden schon froh sein wenn wir endlich nur da sind. Hoffendlich ist Tante Liz auch dort. Mom sagt, bis heute Abent müssten wir da sein.
    Bethany blätterte die übrigen Seiten durch: Sie waren leer. Dann kehrte sie zu dem Blatt mit dem Text zurück.
    «Ein Ticket?», sagte sie. «Was für ein Ticket? Um in die Stadt zu fahren?»
    Nachdem sie den Text noch eine Zeitlang angestarrt

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