Dystopia
sogleich wieder von vorne anfing.
«Wir wissen also, dass von hier aus Flüge gestartet sind», sagte Travis. «Mit anderen Worten, Yuma war gar nicht die Endstation. Zumindest für einige nicht.»
«Tickets», sagte Bethany. «Darauf also hat das Kind angespielt in dem Notizblock. Die Menschen sind nach Yuma gekommen in der Hoffnung, einen Platz auf einem dieser Flüge zu ergattern. Fragt sich nur, wohin.»
Travis starrte die Südfassade des Terminals an, die vor ihnen aufragte. Der untere Teil, viereinhalb Meter hoch, bestand aus demselben weißen Metall wie auch die anderen Seiten des Gebäudes. Darüber befand sich eine durchgehende Glasfront. Etwa alle dreißig Meter zweigten aus den Gates Fluggastbrücken ab, die sich, wie fast alles Übrige in Yuma, in annähernd unversehrtem Zustand befanden. Nur von den robusten Reifen an ihren äußeren Enden war nichts mehr übrig geblieben, sie ruhten jetzt auf den nackten Felgen. Die zerkrümelten Überreste der Reifen waren längst in alle Winde zerstreut.
Travis sah zu den Fenstern hinauf. Von hier unten war nur die Decke des Terminals zu erkennen, das übrige Innere war den Blicken entzogen; zu vermuten stand, dass die Halle voller Leichen war, die Tickets und Ausweise in den Taschen hatten. Er drehte sich um und spähte zum hinteren Ende der Landebahn, wo er die groben Umrisse der Botschaft erkennen konnte, die dort mit weißer Farbe hingepinselt worden war. Zu entziffern war sie von hier aus nicht, aber ihren Inhalt hatte er nicht vergessen.
Kommt zurück.
Er lauschte auf die Durchsage, die ihre nie endende Verheißung herunterleierte, und überlegte, wie es sich wohl angefühlt haben mochte, hier zu sitzen, dem Tod nahe, und darauf zu warten, dass sie in Erfüllung ging.
«Der Durchsage nach sollen die Flüge bald wieder aufgenommen werden», sagte Travis. «Sie müssen also anfangs, als die ersten Flüchtlingswellen in Yuma eingetroffen sind, tatsächlich stattgefunden haben. Und dann haben sie aufgehört.»
Er dachte an die Leichen in dem Hotel. In den Häusern, an denen sie vorbeigekommen waren. Rief sich die Berge aufgetürmter Knochen vor Augen.
Dann schüttelte er den Kopf. «Dass so ein Unternehmen schon rein rechnerisch unmöglich ist, erkennt man auch ohne Taschenrechner. Wie viele Menschen hätte man denn maximal von hier ausfliegen können, selbst bei effizientestem Flugbetrieb? Mal angenommen, die Erica-Flüge waren Jumbo-Jets vom Typ 747, die alle zehn Minuten mit fünfhundert Passagieren an Bord von hier gestartet sind. Wahrscheinlich ein Ding der Unmöglichkeit, aber seien wir mal großzügig. Das wären dreitausend Leute pro Stunde. Um drei Millionen Menschen zu evakuieren, wären tausend Stunden erforderlich. Und für dreihundert Millionen einhunderttausend Stunden.»
Er sah, wie Bethany und Paige mitrechneten.
«Ein Jahr hat etwa achttausend Stunden», sagte Bethany. «Es würde also mehr als zehn Jahre dauern, alle dreihundert Millionen Menschen auszufliegen, und das auch nur bei rund um die Uhr laufendem Flugbetrieb.»
«Die Menschen, die nach Yuma gekommen sind, dürften sich darüber im Klaren gewesen sein», sagte Travis. «Genug Zeit, um sich das auszurechnen, werden sie schließlich gehabt haben. Sie wussten also, dass sie an diesem Ort null Überlebenschancen hatten und dass ihre einzige Chance darin bestand, in der ersten Woche oder so einen Platz auf einem dieser Flüge zu ergattern. Und wie groß wären die Aussichten darauf gewesen? So gut wie null. Nach Yuma zu kommen, das war wie eine Mischung aus russischem Roulette und Lotterie. Aber sie sind trotzdem gekommen. Sie haben es auf gut Glück versucht. Wie groß muss die Verzweiflung gewesen sein, um so etwas zu tun?»
Sie sahen sich schweigend an. Sosehr sie auch überlegten, sie konnten sich keinen Reim darauf machen.
Unterhalb der Fluggastbrücken befanden sich Türen, die ins Innere des Terminals führten. Travis probierte auf gut Glück den Knauf der ersten Tür, der sich zwar ohne weiteres drehen ließ, aber die Tür rührte sich nicht. Unter der Einwirkung der Sonne war ihr weißer Farbanstrich im Lauf der Jahrzehnte mit dem Farbanstrich des Türrahmens verschmolzen. Travis stemmte einen Fuß gegen den Rahmen und zog mit beiden Händen an dem Knauf. Die Naht löste sich mit einem trockenen Knacken, und gleich darauf standen sie in dem Gebäude.
Hier im Inneren war es merklich wärmer als draußen – an die fünfzig Grad mochte die Hitze betragen, die sich in
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