Dystopia
waren bis zu einer Stelle gelangt, an der sich in der Gegenwart offene Wüste befinden dürfte. Die Gefahr, dort von irgendjemandem beobachtet zu werden, während sie aus der Iris stiegen, würde denkbar gering sein.
«Steigen wir hier hindurch», sagte Paige.
Travis nickte.
Bethany, die den Zylinder trug, kauerte sich auf ein Knie nieder und zielte zwischen den Autos hindurch, nur knapp über dem Boden. Dann schaltete sie ihn an.
Die Iris öffnete sich und brachte leeres Ödland zum Vorschein, beschienen von derselben Art Abendsonnenschein, in dem sie selbst gerade kauerten, etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang. Worüber Travis kurz stutzte: weil es in der Gegenwart doch eine Stunde später war als auf dieser Seite. Ergo hätte es da drüben schon dunkel sein müssen. Da aber fiel es ihm wieder ein. In der Gegenwart war es zwar eine Stunde später, aber zugleich zwei Monate früher, August statt Oktober. Im August ging die Sonne viel später unter, spät genug, um den Unterschied auszugleichen. Beiläufig kam ihm der Gedanke, dass viel abstraktes Denken vonnöten wäre, wenn diese Technologie von zwei feindlichen Streitkräften gegeneinander eingesetzt würde.
Er kroch auf die Öffnung zu und spähte hindurch auf das Yuma der Gegenwart.
Er spürte, wie ihm plötzlich eiskalt wurde.
«Scheiße», flüsterte er.
Paige stürzte sofort an seine Seite. Bethany, die den Zylinder hielt, verharrte in drei Metern Entfernung.
«Was ist los?», fragte sie ungeduldig.
Eine ganze Zeit lang erhielt sie keine Antwort, während Paige und Travis starr vor Schreck durch die Iris zu der lebenden Version der Stadt hinüberschauten – in der es vor Polizei- und sogar Militärfahrzeugen aller Art nur so wimmelte. Blaulicht flackerte an hundert verschiedenen Stellen in der Abendluft, und schon bei einem kurzen Blick in die Höhe sah Travis mindestens drei Hubschrauber, die oben am Himmel kreisten.
«Ich habe mich geirrt», sagte Travis. «Sie haben uns in der Gegenwart sehr wohl eine Falle gestellt. Sie haben bloß gewartet, bis wir auf dieser Seite waren, um sie zuschnappen zu lassen.»
29
Bethany schloss die Iris wieder.
Eine Weile blieben sie bäuchlings auf der harten Erde liegen, ohne ein Wort zu sagen.
Der Wind, der über die Autos hinwegfuhr, war auch unten am Boden schwach zu spüren. Inzwischen war er merklich kühler als noch vor zehn Minuten.
«Das dürfte eine Heimatschutzmaßnahme sein», sagte Bethany. «Solche Maßnahmen kann der Präsident auf eigene Faust veranlassen, ohne Bevollmächtigung durch den Kongress. Sie werden sämtliche Zufahrtsstraßen nach Yuma abgeriegelt und eine Ausgangssperre über die Stadt verhängt haben. Jeder, der im Umkreis von zehn oder fünfzehn Meilen um die Stadt herum unterwegs ist, wird angehalten und kontrolliert. Da sind unsere Fluchtaussichten auf dieser Seite wesentlich besser.»
«Unsere Fluchtaussichten auf dieser Seite gehen gegen null», wandte Paige ein.
«Ich weiß», sagte Bethany lapidar.
Travis richtete sich auf und warf in geduckter Haltung durch die Fahrkabine des Pick-ups einen Blick auf den stetig wachsenden Mast. Unmöglich zu sagen, wie hoch er bereits sein mochte, doch schon jetzt war er höher als das fünfstöckige Hotel ein paar Straßen weiter. Er würde bald fertiggestellt sein, und die Kameras oben an der Spitze waren vermutlich bereits in Betrieb, obwohl sie jetzt noch von der Wüste geblendet wurden. Und mit diesem Schutz würde es wohl in zwanzig oder dreißig Minuten vorbei sein.
«Welche Chancen bleiben uns?», fragte Paige. «Was können wir unternehmen, um sie vielleicht auszutricksen?»
Travis dachte angestrengt nach, doch eine ganze Weile wollte ihm nichts einfallen.
Dann lächelte er unvermittelt.
Finn sah zu, wie der Mast nach und nach Gestalt annahm. Lambert und der andere Spezialist, Miller, arbeiteten schnell und effizient. Grayling, der Techniker, hatte die Kameras bereits an acht Laptops angeschlossen, die auf dem Gehsteig der Fourth Avenue aufgereiht standen, inmitten der länger werdenden Schatten der Geschäftsfassaden.
Bisher konnten die Kameras noch nichts auflösen. Die Bildschirme der Laptops waren weiß, überwältigt von der Hintergrundwärme in der Wüste. Aber das würde sich schon bald ändern.
Finn hatte insgesamt fünfzehn Männer durch die Öffnung mitgenommen. Drei errichteten und konfigurierten gerade den Mast, vier hielten die Abspanndrähte, und die acht übrigen standen einfach nur da, bewaffnet
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