Dystopia

Kriechöl.
    In der Wüstenluft waren die Fahrräder bestens erhalten geblieben, doch das Öl, mit dem ihre Ketten, Schaltungen und Lager einst geschmiert waren, hatte sich in der Sonne längst verflüchtigt. Minutenlang hantierte Travis mit der Dose, um diese Teile gründlich einzuölen. Dann hob er ein Fahrrad am Hinterrad in die Höhe und bewegte die Pedale vorwärts. Nach anfänglichem kurzen Knarren hatte sich das Öl im Tretlager verteilt, und alles drehte sich einwandfrei, Pedale, Kette und Hinterrad.
    Geradezu unheimlich, dass Dinge in Yuma über einen so langen Zeitraum hinweg ohne nennenswerte Schäden überdauern konnten. Travis fragte sich unwillkürlich, ob der Umstand, dass Metall und andere Stoffe an diesem Ort keinerlei Zerfall ausgesetzt waren, wohl irgendeine Rolle gespielt haben mochte. Falls das ein Teil des Puzzles war, sah er jedoch nicht, inwiefern es hineinpasste. Bislang aber passte auch sonst noch nichts hinein.
    Sie stiegen auf die Fahrräder und sahen sich noch einmal zu der Stadt um. Das Feuer, das inzwischen gigantische Ausmaße angenommen hatte, wütete auf breiter Front. Von der anfänglichen Feuerspur war nichts mehr zu erkennen. Stattdessen bildete das Feuer ein riesiges, unförmiges Oval, das sich in einem weiten Bogen über die drei Meilen im Süden erstreckte und sich nach Norden hin radikal ausdehnte, in einzelnen Ausläufern und flammenden Inseln, die inzwischen bis ins Stadtzentrum reichten. An manchen Stellen des Feuersturms schlugen die Flammen an die hundert Meter empor, und darüber hing eine Rauchsäule, die an die apokalyptischen Weissagungen im letzten Buch des Neuen Testaments erinnerte. Das Inferno loderte bis zu dem Rauch hinauf, vermischte sich damit, beleuchtete ihn von innen und von außen. Der helle Feuerschein fiel auf die zahllosen Autos im weiten Umkreis und spiegelte sich in Millionen von Windschutzscheiben wider, sodass die Rauchsäule über der Wüste bis in eine Höhe von drei oder vier Meilen geisterhaft erleuchtet wurde.
    An den Rändern breitete sich das Feuer nach wie vor rasend schnell aus. Ohne die Fahrräder würden sie jetzt wohl in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.
    «Ich bin ja noch nicht so lange bei Tangent», sagte Bethany. «Gerät man da als Mitarbeiter häufiger in solche Situationen?»
    «Nicht so häufig», erwiderte Paige.
    «So was passiert anscheinend hauptsächlich, wenn ich in der Nähe bin», warf Travis ein.
    Sie beobachteten das Spektakel noch einen Moment. Dann wandten sie sich um, klappten die Fahrradständer hoch und strampelten los, so schnell sie nur konnten.
     
    Schon lange, ehe er am südlichen Stadtrand ankam, war Finn sich darüber im Klaren, dass alles gegen ihn arbeitete. Weil sich das Feuer nicht bloß mit linearer, sondern exponentieller Geschwindigkeit ausbreitete.
    Brennende Schaumstoffpartikel, manche so groß wie Taschentücher, offenbar die Polsterung von Autositzen, regneten ringsherum zu allen Seiten und auch weit vor ihm auf die Wüste nieder.
    Er rannte, begleitet von Reyes und Hunt, den beiden verbliebenen Männern aus seiner Truppe, auf einer der breiten Durchfahrtsgassen nach Norden. Vor ihnen, gerade noch sichtbar über dem Hindernisparcours aus vereinzelten Bränden, ragte unverändert der Kameramast in die Höhe. Seine Aluminiumverstrebungen schimmerten im gelben Feuerschein.
    Vielleicht hielten sich Grayling und die übrigen vier ja noch dort auf. Falls nicht, würde es ein unlösbares Problem darstellen, sie in der Stadt ausfindig zu machen. Hätte er doch bloß eins der verfluchten Funkgeräte mitgenommen. Das hatte er schlicht vergessen. Doch er hätte sich wohl in jedem Fall dagegen entschieden, um Paige Campbell und die anderen auf keinen Fall vorab durch das Rauschen zu warnen. Bei aller Voraussicht – wie hätte er ahnen sollen, dass eine Situation wie die gegenwärtige eintreten würde?
    Direkt vor ihnen krochen zwei Feuerwände von links und rechts aufeinander zu, schlossen zusehends die Lücke, die noch zwischen ihnen bestand. Die Feuer von außen zu umrunden, würde sie mindestens eine halbe Minute kosten. Der Weg durch die Mitte, geradeaus durch die Gasse, auf der er mit den anderen unterwegs war, war der kürzeste. Aber die Lücke schrumpfte, und zwar rasend schnell.
    Finn bemühte sich, sein Tempo zu beschleunigen, aber das war so gut wie unmöglich. Es fiel ihm schon schwer genug, halbwegs ruhig zu atmen. Die Luft war vom Rauch brennender Gummipartikel erfüllt. Er konnte spüren, wie