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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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Park selbst nahm die linke Hälfte der Aussicht ein. In der rechten Hälfte war die vielfältige Architektur der Upper West Side zu sehen, wo schimmernde Neubauten neben ehrwürdigen Gebäuden standen, die über hundert Jahre alt sein mochten. Es war ein schöner Tag, mit riesigen, trägen Wolken, deren Schatten langsam über die Stadt hinwegzogen.
    Dann schaltete Bethany den Zylinder an, und die Iris tauchte wieder auf, und Travis sah das andere Manhattan. Das Manhattan, das sie in den letzten Minuten vor Augen gehabt hatten, als sie in den Überresten des Gebäudes bis zu der von Garner bewohnten Etage hinaufgestiegen waren.
    Jene zukünftige Version des Stadtteils befand sich in ungefähr demselben Zustand wie Washington. Die gesamte Insel war mit dichtem Wald bedeckt, aus dem die verrosteten Überreste der Skyline der Stadt emporragten.
    Worin Manhattan sich jedoch von Washington unterschied – und zwar weitaus krasser, als Travis es sich vorab hatte vorstellen können –, war der Maßstab der Ruinen. In Washington hatte sich das Bürohochhaus mit seinen fünfzehn Etagen eindrucksvoll hoch ausgenommen. Den Giganten, die hier vor sich hin rosteten, hätte es höchstens bis an die Knöchel gereicht. Die Überreste der Wolkenkratzer unterhalb des Central Park bildeten einen durchgehenden Sichtschirm von zweihundertvierzig Metern Höhe – an manchen Stellen sogar noch höher. Der Oktoberwind fuhr seufzend hindurch, fand immer neue schiefe Winkel und Nietlöcher, von welcher Richtung er auch hindurchwehte. Es hörte sich an wie ein Chor von Millionen von Rohrflöten, die sanft und klagend im toten Skelett der Stadt erklangen.
    Dies alles lag kalt und nebelverhangen unter einem düsteren, grau bezogenen Himmel. Jedes Mal, wenn der Wind durch die Iris ins Zimmer wehte, trug er einen Hauch von Feuchtigkeit mit herein.
    Garner rührte sich nicht vom Fleck. Stand da wie angewurzelt.
    «Jetzt schließt sie sich nicht mehr», sagte Bethany. «Sie können ganz dicht herantreten. Können sogar den Kopf hindurchstecken.»
    Er sah sie an. Sah sie alle der Reihe nach an. Dann brachte er ein Nicken zustande und ging durchs Zimmer auf die Iris zu. Er starrte hindurch. Über drei Minuten lang, ohne ein Wort zu sagen. Dann schloss er die Augen. Er schüttelte den Kopf und senkte ihn.
    «Erzählen Sie mir alles», sagte er.

34
    Es dauerte etwas über eine Stunde. Sie saßen um einen Couchtisch im Arbeitszimmer herum und schilderten ihm die Geschichte in allen Einzelheiten. Alles, was geschehen war. Alles, was sie wussten. Alles, was sie nicht wussten.
    Als sie geendet hatten, saß Garner ein Weilchen da und blickte schweigend vor sich hin.
    «Sie müssen etwas darüber wissen, Sir», sagte Bethany. «Wenn Präsident Currey über Umbra unterrichtet ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie nichts darüber wissen.»
    «Ich bin Isaac Finn vielleicht zwei- oder dreimal begegnet», sagte Garner. «Dabei haben wir uns jeweils nur ganz kurz unterhalten. Sein humanitäres Engagement hat mir natürlich imponiert. Aber er war mir nicht sympathisch. Er hatte etwas an sich, das mir … aufgesetzt vorkam, schätze ich. Ich hatte das Gefühl, dass er bei unserem Geplauder ganz andere Absichten verfolgte. Dass er mich eher einer Art Test unterzog. Einem regelrechten Psychotest, bei dem er meinen Antworten großes Gewicht beimaß. Dasselbe ist mir auch aufgefallen, wenn er sich mit anderen unterhielt. Auf mich hat das insgesamt einen eher negativen Eindruck gemacht. Aber ich war wohl eine Ausnahme. Finn hat über die Jahre in Washington viele Freundschaften geknüpft. Darunter auch mit Currey. Deswegen ist Currey in diese Umbra-Geschichte eingeweiht, was immer das genau sein mag. Ein nationales Geheimprojekt jedenfalls, in das man nur mit den entsprechenden Sonderbefugnissen Einblick erhält, ist es nicht. Ich hatte in der Hinsicht die höchsten Befugnisse, die man nur haben kann, und ich höre davon heute zum ersten Mal.»
    Er erhob sich aus seinem Sessel. Ging ans Fenster.
    «Was ich Ihnen erzählen kann, habe ich nicht während meiner Präsidentschaft erfahren. Sondern Jahre davor, als ich dem Senatsausschuss für Geheimdienstfragen angehörte. Und das betrifft nicht Finn, sondern seine Frau. Aus der Zeit, ehe sie seine Frau wurde. Als sie noch Audra Nash hieß und Doktorandin am MIT war.»
    Er schwieg kurz, tief in Gedanken versunken, während er mit dem Rücken zu ihnen am Fenster stand. Travis sah an ihm vorbei nach draußen und

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