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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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sein schlechtes Gewissen deswegen hielt sich in Grenzen. War es doch auch für die Bibliothek wesentlich praktischer, ihm das Material komplett zuzuschicken, statt jedes Mal, wenn er ein Zitat überprüfen musste, eine Art Ausnahmezustand ausrufen zu müssen, wenn er mitsamt seinem Sicherheitskontingent im Archiv anrückte. Außerdem war er ein alter Freund des Hauses, immerhin hatte er dort einst als studentische Aushilfskraft gearbeitet. Vermutlich war er an genau diesem Karton selbst unzählige Male vorbeigekommen.
    Es war ein klarer, sonniger Tag, doch gegen fünf Uhr wurde das Tageslicht im Raum schon merklich schwächer. Er schaltete eine Lampe neben seinem Lesesessel an. George Washingtons Handschrift war auch so schon schwierig genug zu entziffern.
    Um Viertel nach fünf drang aus dem Flur ein kühler Luftzug ins Zimmer, der die Unterlagen auf dem Tisch neben ihm leise bewegte. Erst nach zwei oder drei Sekunden fiel ihm auf, dass das eigentlich unmöglich war. Alle Fenster in der Wohnung waren geschlossen.
    Verdutzt sah er zur Tür hinüber. Versuchte, sich dieses Phänomen irgendwie zu erklären. Draußen im Flur, ganz in der Nähe, befand sich ein Lufteinlass für die Klimaanlage. Aus dem logischerweise keine Luft austreten sollte, aber womöglich waren ja gerade irgendwelche Wartungsarbeiten im Gange. Eine andere Erklärung wollte ihm nicht einfallen.
    Jedenfalls keine andere Erklärung harmloser Art. In den letzten Jahren hatte er sich daran gewöhnen müssen, für alle möglichen Situationen auch weit bedrohlichere Erklärungen in Betracht zu ziehen.
    Er legte das Blatt beiseite, in das er gerade vertieft war. Dann stand er auf, neugierig, aber nicht ängstlich. Er brauchte nur in die Hände zu klatschen, dann würden binnen weniger Sekunden sechs Agenten mit Maschinenpistolen durch verschiedene Wohnungszugänge hereingestürmt kommen. Per Video überwachten sie die Wohnung in der Regel nicht, doch jedes laute Geräusch über 85 Dezibel würde den akustischen Alarm auslösen und sie sofort auf den Plan rufen.
    Er durchquerte das Zimmer und ging auf den Flur hinaus. Die Wohnungstür war unverändert geschlossen und verriegelt. In der Küche war alles normal. Er wandte sich zum Wohnzimmer um – und zuckte zusammen.
    Dort befanden sich Leute.
    Drei an der Zahl.
    Mitten im Zimmer.
    Garner war drauf und dran, einen Schrei auszustoßen, um den Alarm auszulösen, als ihm auffiel, dass er eine der Personen kannte. Paige Campbell.
    Tangent.
    Seine Beunruhigung schlug umgehend in Zorn um. Er ging auf sie und die beiden anderen zu. Eher beiläufig fiel ihm auf, dass alle drei feuchte Haare hatten und auch ihre Kleidung durchnässt war, ohne dass er sich jedoch mit der Frage nach dem Warum länger aufhielt.
    «Entschuldigen Sie bitte die Störung», fing Paige an.
    Garner fiel ihr schroff ins Wort. «Raus mit Ihnen. Auf der Stelle. Wie auch immer Sie hier hereingekommen –»
    Paige trat beiseite, und die Lücke zwischen ihr und den anderen beiden gab Garner endlich Aufschluss darüber, woher der geheimnisvolle Luftzug stammte.
    Er blieb stehen. Sein Zorn verrauchte. Auf einmal war er vollkommen perplex. Stand einfach nur da und starrte.
     
    Travis behielt Garner genau im Auge. Sein anfänglicher Zorn war verständlich. Immerhin war seine Frau wegen ihrer Zusammenarbeit mit Tangent ums Leben gekommen; dass er über ihr Auftauchen entzückt sein würde, war also kaum zu erwarten.
    Während Garner jetzt die Iris anstarrte, trat Travis zusammen mit Bethany beiseite, damit er eine unverstellte Sicht hatte.
    Garner ging auf die Öffnung zu. Schien irgendetwas sagen zu wollen. Hielt inne.
    Dann zog sich die Iris zusammen und schloss sich. Er blinzelte verwirrt.
    «Entschuldigung», sagte Bethany. «Einen Moment.»
    Sie hielt den Zylinder. Sah sich suchend nach einer Möglichkeit um, ihn abzulegen. Deutete dann auf einen schmalen Tisch an der Wand ganz in der Nähe und sah Garner an.
    «Ist das in Ordnung?»
    Der Mann hatte sichtlich Mühe zu begreifen, was sie überhaupt von ihm wollte. Er starrte sie eine Sekunde lang an und blickte dann wieder zu der Stelle, wo sich gerade noch die jetzt verschwundene Iris befunden hatte.
    Bethany wertete sein Schweigen als Zustimmung, legte den Zylinder auf den Tisch und machte eine schwere Buchstütze ausfindig, um ihn zu stabilisieren.
    Travis sah zu der durchgehenden Fensterfront an der Südwand hinüber, die auf die Central Park West Avenue in Richtung Midtown hinausging. Der

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