Dystopia

jene Frequenzen, die sich auf Menschen schädlich auswirken, zufällig auftreten, gehen sie im allgemeinen Wirrwarr unter, und nichts passiert. Audra Nash nun vertrat die Theorie, dass ein Satellit durch präzise, gezielte Aussendung wesentlich kürzerer Wellenlängen über einem beliebigen Zielgebiet bestimmte Frequenzen der natürlichen Niederfrequenzwellen ausschalten könnte. Und uns damit ermöglichen könnte, genau auszuwählen, welche Frequenzen ausgeschaltet werden … und welche erhalten bleiben sollen.» Er sah Bethany an. «Sie haben recht. Ein Satellit vermag selbst keine Niederfrequenzwellen zu senden, könnte sie aber theoretisch dort, wo sie von Natur aus auftreten, stören und so weit dezimieren, bis nur noch die nützlichen Frequenzen übrig sind. Die sich dann auf jeden Fall auf Menschen auswirken würden. Und das könnte ganz gezielt eingesetzt werden. Man könnte ein paar Häuserblocks damit beeinflussen. Oder eine komplette Stadt. Oder ein Gebiet, das noch viel, viel größer ist.»
    Keiner sagte etwas. Alle sahen Garner gespannt an.
    «Wir gaben ihr also grünes Licht», sagte er. «Stellten ihr das gesamte Material zur Verfügung. Sie hat sich mit Begeisterung darüber hergemacht. Hat die Materie sozusagen verinnerlicht. Ein halbes Jahr später wurde sie wieder vor dem Ausschuss vorstellig. Mit einem Entwurfsplan.»
    «Und, ist er umgesetzt worden?», fragte Paige.
    «Nein.»
    Paige zog verwirrt die Stirn in Falten. «Aber warum nicht?»
    «Weil es immer noch sehr spekulativ war. Auch bei einem noch so guten Entwurf läuft alles auf Versuch und Irrtum hinaus. Einzelheiten müssen erst bei einem Prototyp ausgearbeitet werden. Das kann sehr kostenintensiv sein, selbst dann, wenn es nur um die Modifizierung eines Humvee geht. Bei einem Satelliten darf man dann noch ein paar Nullen dranhängen.»
    «Ich bitte Sie», sagte Travis. «Die Radkappen bei einem Tarnkappenbomber dürften locker eine Million Dollar das Stück kosten. Seit wann ist das Pentagon denn so knausrig?»
    Garner lächelte. «Es gibt noch einen anderen Grund, der aber noch weniger glaubhaft klingt.» Er dachte kurz nach. «Kurz gesagt, ist es wie folgt. Damals, als alle nach Wegen suchten, diese Technologie irgendwie waffenfähig zu machen, standen alle Seiten unter einem gewissen Druck: Man wollte den anderen möglichst zuvorkommen. Durchaus verständlich, solange man der Auffassung ist, es gäbe irgendeine logische, eindeutige Lösung für das Problem, die Sorte, auf die jeder irgendwann stoßen könnte. Bei Audras Idee aber war das nicht der Fall. Es war ein vollkommen obskurer Ansatz, ausgehend von einer Wissensüberlappung, über die außer ihr vermutlich niemand sonst verfügte. Kein Mensch sonst auf der Welt würde wahrscheinlich je darauf kommen. Würden wir das Projekt aber verwirklichen, fänden sich gewiss etliche Interessenten, die es liebend gern kopieren würden. Man hört hin und wieder die Ansicht, 1945 sei die atomare Büchse der Pandora geöffnet worden. So als ob niemand sie je geöffnet hätte, wenn wir nicht den Anfang gemacht hätten. Was mir im Übrigen unglaubhaft erscheint. Das Konzept der Kernspaltung ist schließlich so abwegig nicht. Audras Satellitenentwurf aber
war
abwegig. Und wir haben uns gedacht, wozu so etwas verwirklichen? Warum die Welt in ein Zeitalter führen, das durch eine solche Waffe bestimmt würde? Also haben wir uns dagegen entschieden. Haben den Entwurf sicher unter Verschluss genommen. Wofür Audra zwar Verständnis hatte, aber enttäuscht war sie, glaube ich, schon. Danach hat sie der Welt der Satellitentechnik den Rücken gekehrt. Hat ein Studium in Harvard angefangen, ihren zweiten Doktor in Philosophie gemacht, sich als humanitäre Helferin engagiert. Finn geheiratet. Erst 1995 habe ich dann wieder von ihr gehört, im Zusammenhang mit dieser kleinen Skandalaffäre um das Thesenpapier, das die beiden veröffentlichen wollten.»
    Paige, die die ganze Zeit zu Boden gestarrt hatte, hob ruckartig den Blick. «Haben Sie diesen Text mal zu sehen bekommen?»
    Garner schüttelte den Kopf. «Der wurde durch den Reißwolf geschickt und verbrannt, ehe er die Runde machen konnte. Aber ich konnte mir ungefähr ausmalen, worum es in dem Artikel ging. Vielleicht können Sie sich das inzwischen ja auch zusammenreimen.»
    Travis ließ sich die neuen Auskünfte durch den Kopf gehen, die Garner ihnen geliefert hatte. Bemühte sich, einen Zusammenhang zu der Situation herzustellen, in der Finn und