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E-Book - Geisterritter

E-Book - Geisterritter

Titel: E-Book - Geisterritter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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auf den Knien gelegen!«
    Ja. Davon hatte ich auch schon gehört.
    Ich roch die Herbstblumen, die vor dem Altar standen und dachte an die vier Mörder mit ihren gebrochenen Hälsen, an William Hartgill und seinen Sohn und daran, dass ich wirklich keinen neuen Vater wollte.
    »Bitte!«, hörte ich mich flüstern. Die Worte kamen wie von selbst. »Bitte, William Longspee. Hilf mir.«
    Und plötzlich hörte ich Schritte. Klirrende Schritte, wie von Eisenschuhen. Ich drehte mich um.
    Und da stand er.
    Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihn immer noch so deutlich wie in jener Nacht. Es wird immer so sein.
    Die Tunika, die sein Kettenhemd bedeckte, zeigte die drei goldenen Löwen von Salisbury auf blauem Grund, und im Gegensatz zu seinem steinernen Abbild trug er keinen Helm. Sein Gesichtwar bartlos, seine Augen blassblau und sein kurzes aschblondes Haar zeigte Spuren von Grau.

    »Steh schon auf, Junge«, sagte er. »Ich erinnere mich, wie steif einem die Beine von all dem Knien werden. Ich würde dir aufhelfen, aber da ich dir keine Hand aus Fleisch und Blut reichen kann, würde sie dir wenig nutzen.«
    Es war tatsächlich nicht leicht, auf die Füße zu kommen. Aber das lag mehr daran, dass mir die Knie zitterten – was er hoffentlich nicht merkte.
    Er war größer, als ich erwartet hatte, und sein Kettenhemd schimmerte, als hätte der Mond selbst es für ihn gemacht.
    Er sah so wunderbar aus. Genau wie die Ritter, von denen ich geträumt hatte, wenn ich in unserem Garten auf die Brombeerranken eingeschlagen und mir dabei vorgestellt hatte, gegen Drachen und Riesen zu kämpfen, mit einem Schwert, das unbesiegbar machte, und einer Rüstung, die vor allem schützte, was einem mit sechs Jahren Angst macht – ältere Kinder, bissige Nachbarhunde, ein Gewitter in der Nacht oder die Frage meiner kleinsten Schwester, wann mein Vater endlich zurückkommen würde.
    Ich brachte eine unbeholfene Verbeugung zustande. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Alles, was ich wusste, war, dass meine Angst fort war, als hätte Longspee sie mir vom Herzen gewischt.
    Er lächelte, aber das Lächeln war nur auf seinen Lippen. Seine Augen blickten drein, als hätte er seit Hunderten von Jahren nicht viel Anlass zum Lächeln gehabt.
    »Es ist lange her, dass mich jemand um Hilfe gerufen hat«, sagteer mit einer Stimme, die von weither zu kommen schien. »Ich hätte dich fast nicht gehört. Ich habe dunkle Träume. Sie lassen mich kaum noch gehen. Deshalb fürchte ich, dass du den falschen Ritter gerufen hast.« Er wies auf den Sarkophag, der nur ein paar Schritte entfernt auf der anderen Seite des Ganges stand. Das Abbild des Ritters, der darauf schlief, sah aus wie das eines Riesen.
    »Sein Name ist Cheney«, sagte Longspee. »Er ist launisch und lässt sich für seine Dienste bezahlen. Aber wenn du ihm ein paar Münzen auf die Stirn legst, bin ich sicher, dass er dir helfen wird.«
    Er blickte sich um, als hätte er vergessen, wo er war.
    »Lass mich weiterschlafen, Jon Whitcroft«, sagte er mit einer Stimme, die schwer von Müdigkeit war. »Nur der Schlaf schenkt Vergessen, wenn die Schatten deines Lebens dich jagen und du die vermisst, die du liebst.«
    Seine Züge begannen zu verschwimmen wie auf einem unscharfen Foto und seine ganze Gestalt verblasste.
    Nein!
    Ich wollte nach seiner behandschuhten Hand greifen und ihn festhalten, aber ich stand nur da und spürte, wie die Angst zurückkam, die Angst, die Einsamkeit und der Zorn, während Longspees schimmernde Gestalt sich wie ein Traumbild in der Dunkelheit auflöste. Natürlich. Alles nichts als Einbildung. Zusammengebraut aus Angst und Heimweh und Bonaparts ständigem Geschwätz über Löwenherz!
    »Er hat aber dich gerufen und nicht Cheney.«
    Ellas Stimme klang sehr laut in der menschenleeren Kathedrale. Ich hatte sie ganz vergessen.
    Für einen Moment blieb es still. Dann drang Longspees Stimme aus der Dunkelheit, als stünde er hinter einer der Säulen.
    »Sieh an. Du bist nicht allein gekommen, Jon Whitcroft.«
    »Nein. Das … das ist Ella«, stotterte ich. »Sie hatte die Idee, dich zu rufen.«
    »Ella?« Longspee sprach den Namen aus, als wollte er jeden einzelnen Buchstaben auf der Zunge kosten. Seine Gestalt wurde wieder deutlicher.
    »Ja.« Ella trat an meine Seite. »Wie deine Frau. Ella von Longspee. Aber in Lacock Abbey, wo ihr Grab ist, nennen sie sie Ela. Wie hast du sie genannt?«
    Longspees Abbild erschauderte wie ein Spiegelbild auf dunklem

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