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E-Book - Geisterritter

E-Book - Geisterritter

Titel: E-Book - Geisterritter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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Wasser.
    »Ella«, antwortete er. »Ich habe sie immer Ella genannt. Seit dem Tag, an dem ich sie zum ersten Mal sah. Sie war damals vermutlich nicht älter als du, doch ihr Haar war blond, und sie war nicht so hochgewachsen wie du. Selbst, als sie eine erwachsene Frau war, reichte sie mir kaum bis zur Schulter. Trotzdem war sie stärker als jeder Mann, den ich in meinem Leben kannte.«
    Ella strich sich das Haar zurück. Sie tut das oft, wenn sie verlegen ist. Allerdings wusste ich das damals noch nicht.
    »Ja, das sagt meine Mutter auch über sie. Sie hat mich nach ihr benannt.«
    Longspee musterte Ellas Gesicht, als ließe es ihn trotz aller Unterschiede ein anderes sehen. Dann blickte er sich erneut um.
    »Ich frage mich, wie lange ich diesmal geschlafen habe. Die Zeit vergeht langsam, wenn man die Hölle fürchtet und sich denHimmel noch verdienen muss.« Er strich über den Knauf seines Schwertes, und für einen Augenblick glaubte ich, Blut auf seinen Händen und Kleidern zu sehen. Doch das Mondlicht wusch es fort, als er sich zu mir umwandte.
    »Welche Hilfe erhoffst du dir von einem toten Ritter, Jon?«
    Die ganze Kathedrale schien zu lauschen, all die Heiligen und die Toten, die in ihren Grüften schliefen, als ich Longspee von Stourton und seinen Knechten erzählte. Er lauschte mir mit so unbewegtem Gesicht, als wäre er tatsächlich sein eigenes steinernes Abbild, das zum Leben erwacht war. Ella kam mir ein paarmal zu Hilfe, doch schließlich schwiegen wir beide, und Longspee blickte hinauf zu den dunklen Fenstern, als sähe er meine Jäger draußen unter den Sternen stehen.
    »Ich kenne diese Art Männer«, sagte er schließlich. »Sie sind Gift auf beiden Seiten des Todes. Was nicht heißt, dass ich zu Lebzeiten nicht oft genug für sie gekämpft habe.« Er blickte an den Säulen entlang, als stünde hinter jeder eine Erinnerung aus seinem Leben. »Es sind vier und sie erscheinen dir nur bei Nacht?«
    Ich nickte.
    »Sie sagen, dass sie mich jagen werden, bis ich tot bin. Ellas Großmutter sagt, sie könnten mir nichts anhaben, aber …« Die Stimme versagte mir.
    Longspee sah mich an. Dann zog er den linken Handschuh aus.
    »Streck deine Hand aus, Jon Whitcroft«, sagte er.
    Ich gehorchte.
    An Longspees Mittelfinger schimmerte das geisterbleiche Abbildeines Rings. Das Wappen darauf war undeutlich wie ein verblasstes Foto, aber als Longspee mir den Ring in die Innenfläche meiner Hand drückte, brannte es wie Eis und hinterließ den Abdruck eines Löwen auf meiner Haut.
    »Wenn du Stourton das nächste Mal siehst«, sagte Longspee, »schließ die Faust über meinem Siegel, und ich werde da sein.«
    Dann trat er zurück und verschwand, als hätte die Kathedrale tief Atem geholt und ihn wieder zu einem Teil von sich gemacht. Selbst das Mondlicht schwand, als hätte Longspee es mit sich genommen, und Ella und ich standen da und blickten uns an. Wir konnten einander kaum erkennen in der Dunkelheit, aber das war egal. Ellas breites Lächeln sah ich trotzdem. Und natürlich fand sie, wie immer, die richtigen Worte.
    »Na bitte!«, flüsterte sie.
    Wir legten uns zum Schlafen gleich neben Williams Sarkophag, und als ich einschlief, glaubte ich, eine graue Frau den Mittelgang der Kathedrale hinuntergehen zu sehen. Aber vielleicht träumte ich das auch nur. Stourton ließ sich in dieser Nacht nicht sehen. Das ist alles, was ich weiß. Und ich fühlte mich neben dem steinernen Sarg so sicher, als läge ich wieder zu Hause in meinem Bett.

8
    Eigentlich kein schlechter Nachmittag

    A ls ein Küster mich und Ella am nächsten Morgen fand, hatte ich zum ersten Mal seit Tagen wieder gut geschlafen, und der Löwenabdruck in meiner Hand bewies, dass ich von Longspee nicht nur geträumt hatte. Als Mrs Cunningham mich mit deutlich gekränkter Miene zu meinem Freitagsverschwinden befragte, stammelte ich ein paar rührende Sätze über den schrecklichen neuen Freund meiner Mutter und dass ich gehofft hatte, er würde verschwinden, wenn ich in der Kathedrale dafür betete. (Ich weiß, dafür hätte mich eigentlich ein Blitz von der Turmspitze treffen müssen, aber vermutlich hat der Himmel Mitleid mit eifersüchtigen Söhnen.) Ich entschuldigte mich ein Dutzend Mal bei Mrs Cunningham und bei den Popplewells, die die halbe Nacht nach mir gesucht hatten, und schwor hoch und heilig, nie wieder während der Hausaufgabenaufsicht aus dem Klofenster zu klettern.
    Mit elf weiß man ziemlich genau, was Erwachsene hören wollen, und

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