E-Book statt Papierkonserve
Tätigkeiten finden wir in allen aristotelischen Schriften.
Doch auch bei ihm können wir feststellen, dass eine Abhandlung nur so gut sein kann, wie das Medium, in dem sie erstellt wird, es zulässt. In Aristoteles’ Fall war dies die geschriebene altgriechische Sprache. Das altgriechische Alphabet und die darauf basierende Schriftsprache eigneten sich dazu, neben konkreten Beschreibungen auch abstrakte Gedankengänge und Argumentationen zum Ausdruck zu bringen.
Auf dem Weg zum Buch nahmen die Griechen gleich mehrere Hürden: Zum einen erfanden sie die erste Schrift, die neben Konsonanten auch Vokale aufweist. Die Entwicklung der Schrift, so wie sie in vielen Ländern der Erde verwendet wird, fand damit einen Abschluss. Denn über die Etrusker gelangte eine erste Alphabetschrift nach Mittelitalien und wurde dort von den Latinern aufgegriffen. Dieses Volk eroberte später von Rom aus große Teile Europas, Afrikas und des Nahen Ostens und zwang den unterlegenen Kulturen seine Schrift auf. Erste Zeugnisse des Altlateinischen sind als Angaben auf Keramiken aus dem 7. bis 5. Jahrhundert v. Chr. bekannt.
Doch damit nicht genug – im antiken Griechenland wurde die Schrift auch zum Medium abstrakter Erkenntnis. Bei Platon finden wir in den Texten, die sich um abstrakte Erkenntnis bemühen, an wichtigen Stellen noch Gleichnisse, die das Gemeinte veranschaulichen und mit mehreren Bedeutungsebenen versehen – wie etwa das eingangs geschilderte Höhlengleichnis. Zudem orientierte er sich noch am mündlichen Dialog. Auch Aristoteles benutzte die Dialogform, jedoch ist uns keine dieser Schriften überliefert. Stattdessen liegen uns noch heute Texte von ihm vor, die nur für den internen Gebrauch vorgesehen waren und entsprechend trocken und schwer verständlich formuliert sind. Aristoteles erforschte weitaus mehr Wissensgebiete als Platon und betrachtete auch erstmals die rein logische Form sprachlicher Aussagen. Seine empirisch ausgerichteten Schriften, mit denen er große Teile des damals bekannten Wissens zu erfassen suchte, können als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Untersuchungen gelten, wie sie noch heute üblich sind: lineare, aufeinander aufbauende Texte mit einem bestimmten Fachvokabular, das im Rahmen der Betrachtungen verwendet wird, um empirische Sachverhalte strukturiert zu beschreiben.
Doch weder Platon noch Aristoteles waren ausschließlich Autoren. Platon – als gebildeter und begabter Spross einer adeligen attischen Familie eigentlich für das Ausüben eines politischen Amtes perfekt geeignet – entschied sich nach Sokrates’ Hinrichtung durch das demokratische Athen gegen eine politische Laufbahn und gründete ein Institut, das sich vor allem der Ausbildung von Politikern widmen sollte. Diese Akademie bestand vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. Seine Schriften waren entsprechend nicht für ein beliebiges Publikum gedacht, sondern richteten sich in erster Linie an die Schüler seiner Akademie. Auch Aristoteles’ Schriften gelten als Notizen seiner Lehrtätigkeit. Doch während er eher sachliche Abhandlungen vorlegte – seine Dialoge sind verloren gegangen –, waren Platons Dialoge eine direkte Auseinandersetzung mit den Zuständen im damaligen Athen.
Die Schriften der beiden standen also in engem Zusammenhang mit ihren Schulen und fanden darüber – aus ihren Lehrtätigkeiten heraus – ihre Verbreitung. Sie waren eng mit ihrem praktischen Wirken verbunden. Hätte Platon nicht seine Akademie gegründet und Aristoteles nicht als Lehrer gewirkt, wären uns ihre Abhandlungen heute vielleicht gar nicht bekannt. Jede Schrift, jedes Buch ist eingebunden in ein gesellschaftliches Umfeld, in ein Netz von Schülern, Befürwortern und Gegnern sowie ein breites Publikum. In diesem Sinne sind Platons Dialoge und Aristoteles’ Werke nicht Monolithen, die einsam auf weiter Flur stehen, sondern Bestandteile von Diskursen. Diese Diskurse – der Begriff ist abgeleitet vom lateinischen „discursus“, dem Auseinanderlaufen oder Hin- und Herlaufen – geben in ihrer Gesamtheit ein Ringen um die richtige Position und um Macht in einem Gemeinwesen wieder. Die Akteure und ihre Schriften sind Spieler auf einem medialen Spielfeld. Sie setzen ihre Aussagen als Spielzüge ein, bilden Teams aus wechselnden Mitspielern und wollen gemeinsam mit diesen das Spiel gewinnen, seien es die richtigen Ansichten über den Staat oder – wie in Platons „Gorgias“ – die Entlarvung der Rhetorik.
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