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E-Book statt Papierkonserve

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Titel: E-Book statt Papierkonserve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Michaelis
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Ansicht von Platon erkennen. Nicht in der Außenwelt, sondern in den geistig erfassten Ideen oder Formen liegt das Wesen der Dinge. Die Menschen müssen sich dies aber nicht völlig neu erarbeiten. Vielmehr handelt es sich nach Platons Verständnis um ein Wiedererkennen von Ideen, welche die Seele vor der Geburt besaß.
    Auch wenn wir Platon heutzutage nicht mehr in allen Punkten zustimmen können, bleibt die bild- und wortgewaltige Skizze vom Prozess menschlicher Erkenntnis. Ähnlich imposante Bilder beschwor erst Nietzsche mehr als 2.000 Jahre später herauf. Für ihn war der Mensch zuerst wie ein Kamel, das die überkommenen Ansichten übernimmt, dann wie ein Löwe, der gegen diese Ansichten kämpft und sie abschüttelt, und schließlich wie ein neugeborenes Kind, das alles neu sieht.
    Platon verwendete die Sprache nicht, um Verwaltungsvorgänge zu fixieren, um Geschichten zu erzählen oder Gesetze niederzuschreiben. Er nutzte die Sprache als Instrument, um das zu kritisieren, was mit ihr beschrieben wurde. Ihm stand dazu ein wirkungsvolles Handwerkszeug zur Verfügung: 24 Buchstaben, von Alpha bis Omega, eine vollständig grammatikalisch gegliederte Sprache, die sechs Fälle kannte und mindestens seit dem 8. oder 9. Jahrhundert v. Chr. in Gebrauch war. Zu dem Zeitpunkt, als Platon seine Werke schrieb – im 4. Jahrhundert v. Chr. –, war die altgriechische Schrift vollendet und wurde von Generation zu Generation weitergegeben.
    Waren die Keilschrift und die Schrift der Ägypter noch auf Silben bezogen, so hatte ein anderes Volk – die Phönizier – eine erste Schrift entwickelt, die statt mit hunderten von Symbolen mit wenigen Zeichen auskam und sich am gesprochenen Laut und nicht an der Bedeutung des Zeichens orientierte. Die Phönizier schufen also das erste Alphabet. Allerdings kannten sie nur Zeichen für Konsonanten. Erst die Griechen entwickelten auf der Basis der phönizischen Buchstaben das altgriechische Alphabet, das neben den Zeichen für Konsonanten auch solche für Vokale enthielt. Damit erfanden sie das erste Vollalphabet, an dem sich viele nachfolgende Schriften – darunter das Lateinische – orientierten.
    Das Alphabet lässt sich aufgrund seiner geringen Anzahl an Zeichen leicht erlernen und kann – dank der Ausrichtung am Klang und nicht an der Bedeutung des Zeichens – recht einfach auf andere Sprachen übertragen werden. Platon verwendete diese moderne Schrift, die in ihren Prinzipien unserer heutigen Schriftsprache entspricht. Doch seine Darstellungsform ist für die Leserinnen und Leser unserer Zeit ungewöhnlich. Er ließ in Dialogen unterschiedliche Akteure auftreten, die mit seinem Hauptcharakter Sokrates ins Gespräch kamen. Oftmals wurden – wie auch zu Beginn der „Politeia“ – zudem die begleitenden Situationen angegeben.
    Platon orientierte sich in der „Politeia“ wie auch in seinen anderen Dialogen an realistischen Situationen und einfachen Gesprächsformen. Er hielt die Schriftsprache gegenüber der mündlichen Rede für weniger eindeutig und für defizitär. Das äußerte er in schriftlicher Form im Dialog „Kratylos“. Er bediente sich also der Schrift, um seine Gedanken für die Nachwelt festzuhalten, und war doch als Schreibender kritisch gegenüber dem Geschriebenen eingestellt. Entsprechend blieben seine Werke dank der Dialogform an der mündlichen Rede orientiert.
    In der Folgezeit – also seit dem Wirken von Aristoteles – wurden fast alle Abhandlungen über theoretische Probleme in der Form einfacher Fließtexte abgefasst. Darin wurde zwar argumentativ verfahren, die unterschiedlichen Positionen wurden aber nicht auf verschiedene Akteure verteilt. An die Stelle des Dialogs trat das Wechselspiel aus Fließtext und Fußnoten. Von der besonderen Darstellungsform des Dialogs abgesehen, enthält Platons Werk schon das allermeiste von dem, woran sich heutige Theoretiker weiterhin abarbeiten: die Fragen nach dem Guten, dem Gerechten, der Wahrheit, dem richtigen Handeln, dem Schönen, der Erkenntnis, dem Staat.
    In den Dialogen des Atheners Platon wurde die Sprache zum ersten Mal umfangreich reflexiv verwendet. Das, was sie beschrieb und benannte, wurde nicht einfach hingenommen, sondern einer systematischen Untersuchung unterzogen. Platons Dialoge sind Inszenierungen einer sprachlichen Reflexion, die sich ihres Instrumentariums – der gesprochenen und auch der geschriebenen Sprache – so sicher ist, dass sie sie in Frage stellen kann. Erst auf der

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