E-Book statt Papierkonserve
festgenommen. Eine von ihnen hatte dann unter Folter gestanden, sie hätte das Unwetter herbeigeführt. Sie hätte im Beisein des Teufels, mit dem sie seit Jahren Umgang gehabt hätte, Wasser in einer selbst gegrabenen Grube mit Ritualen beschworen und der Teufel hätte dieses Wasser dann über die Felder verteilt. Gemäß diesen Aussagen konnte nun ein Inquisitor, der den Text las, bei seinen Verfahren nach einem entsprechenden Schadenszauber der Verdächtigen suchen. Jeder starke Regenguss, jeder Hagelschauer wurde so zum möglichen Ergebnis eines Hexerei-Deliktes. Ferner kann man davon ausgehen, dass sich die Art des Verbrechens auch im mündlichen Diskurs in der Umgebung herumsprach. Der „Hexenhammer“ trug also dazu bei, den Aberglauben im einfachen Volk zu verstärken, die Wirklichkeit des Hexenwesens und der Hexenverfolgung herzustellen und über die Jahrzehnte zu tradieren.
Der „Hexenhammer“ hatte somit eine wichtige Funktion innerhalb des gesamten Settings der Hexenprozesse. Er war aber weder ihr Auslöser noch ihr einziger oder maßgeblicher Akteur. Er machte vielen Menschen das gesammelte „Wissen“ über die Ursachen und Formen von Hexerei sowie den Prozess gegen die Vergehen in gut handhabbarer Form zugänglich und hatte damit entscheidenden Einfluss darauf, wie die Menschen der damaligen Zeit ihre Umgebung wahrnahmen und Krankheiten oder Vorfälle wie Unwetter erklärten. Der „Hexenhammer“ war ein wichtiges Element im Diskurs über die Hexerei – nicht mehr und nicht weniger.
An diesem Beispiel sehen wir auch, was Bücher leisten können und welche Bezüge für ihre Wirksamkeit wichtig sind. Zunächst einmal müssen sie zugänglich sein. Dafür sorgen Geschäfte und Institutionen wie Druckereien, Buchhandlungen, Büchereien und Archive. Zudem beziehen sie einen großen Teil ihrer Wirkungsmacht aus der Kombination von Inhalt und sozialem Umfeld: Vertreten oder sammeln sie prominentes Wissen ihrer Zeit – wie etwa der „Hexenhammer“? Handelt es sich um Gründungsmythen für eine ganze Zivilisation wie das Gilgamesch-Epos, die Ilias oder die Odyssee? Oder übermitteln sie abstraktes Wissen wie etwa Aristoteles’ Schriften über die Logik? Je nach Inhalt überliefern sie wichtiges menschliches Wissen, erzählen Geschichten und prägen so die Handlungen von Einzelnen beziehungsweise von Institutionen. Eines ist dabei anscheinend allen linearen Texten, die in Büchern geschrieben stehen, gemein: Sie liefern Orientierungen und Deutungsmuster für die Menschen, die sich auf die gedruckten Lettern einlassen. So wie die Druckerpresse das weiße Papier bedruckt, so prägen die gedruckten Werke unsere Vorstellungen – und sei es auch durch Widerspruch –, falls sich nicht wirkungsmächtigere Medien finden, die unsere Gedanken und Handlungen beeinflussen.
10 Die Gutenberg-Maschine
Klick, klick – ein kurzer Blick auf die aktuelle Nachrichtenlage. Klick, klick, klack, klack, klack – schon ist eine Fahrkarte oder ein Flug gebucht. Klick, klick – vielleicht möchte ich noch ein neues Buch herunterladen? Patsch, patsch – nach leichtem Antippen des Displays kann die Lektüre am mobilen Gerät beginnen. Oder möchte ich mir doch eher die aktuelle Temperatur anzeigen lassen? Ein paar kleine Bewegungen mit den Fingern, dann zeigt die Gutenberg-Maschine – ein Endgerät mit Internet-Zugang – alles an, was es dazu auf einer Site oder im World Wide Web gibt. Das Internet mit seinen unendlichen Weiten wartet auf uns. Und statt uns von Ort zu Ort zu beamen, bleiben wir hier – und was wir uns wünschen, kommt zu uns, sofern es digitalisierbar ist.
So wie Johannes Gutenberg 1450 in seiner Mainzer Werkstatt die neue Form des Buchdrucks ausprobierte, so entstand 540 Jahre später – also 1990 – in Genf eine neue Technologie, die ebenso wie der Buchdruck die lesenden Menschen in ihren Bann schlagen sollte: das World Wide Web, kurz WWW, der zentrale Bestandteil der neuen Gutenberg-Maschine. Miteinander verbundene Server, die dieselbe Sprache sprechen, liefern dem Nutzer auf Anfrage in einem Fenster die angeforderte Seite mit verlinkten Inhalten.
Was war das Neue daran? Die Verknüpfung von Dokumenten über verschiedene Computer hinweg, dass von jedem der Endgeräte innerhalb dieses Netzes jedes dafür vorgesehene Dokument aufgerufen werden konnte – und die einfache Handhabung. Diese Idee machte den Kern des WWW aus und wird wohl noch Bestand haben, wenn HTML als Auszeichnungssprache
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