e-Motion
hier zu stehen, während Sie sich zurechtmachen. Die Damentoilette ist da drüben.“
Ich sah Charlie an. Man konnte sein Alter schlecht schätzen. Er war sicher nicht mehr jung, hatte aber vor langer Zeit aufgehört zu altern und sich einfach gut gehalten. Um die Augen hatte er ein paar Falten, und seine Haut war mit Leberflecken übersät, aber seine Wangen waren rosig. Seine blauen Augen funkelten, und ich hatte keinen Zweifel daran, dass er wirklich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf mich warten würde, damit ich seinen Arbeitgeber
dann
garantiert treffen
würde
.
In dem hellen Neonlicht des Waschraums sah ich ernsthaft krank aus. Meine Haut war blass und fleckig, und ich steckte mir bei diesem Anblick selbst die – weiße und belegte – Zunge raus. Seufzend holte ich mein Schminkmäppchen aus der Tasche. Ich putzte mir die Zähne und spülte meinen Mund über dem glänzend silberfarbenen Waschbecken des British Airways Terminals aus. Bei meinen Haaren war nichts mehr zu retten, also knautschte und durchkämmte ich sie ein bisschen mit den Fingern, so dass wenigstens die Locken nicht alle auf der Stelle platt waren, auf die ich meinen Kopf in das Kissen gelegt hatte. Ich trug neues Make-up auf, strich mir den Blazer glatt und war bereit, mich mit Charles und dem ganzen Rest zu konfrontieren.
Michaels Wagen war ein Bentley. „Wie britisch.“ Ich lächelte Charles an.
„Er fährt sich traumhaft.“
Ich stieg hinten ein und stellte mein Handgepäck neben mir auf dem Rücksitz ab. Charles war vorne eingestiegen – selbstverständlich auf der „falschen Seite“ –, und wir fuhren los durch die leeren Straßen des morgendlichen London an einem nebligen und leicht nieseligen Tag.
Charles beobachtete mich durch den Rückspiegel. Mit jeder verfluchten Sekunde, die ich in England war, wurde mein Haar krauser und krauser. Und kraus war für mich kein Synonym von hübsch.
„Ich weiß schon“, sagte ich und lachte Charles an, „Sie denken ‚Und ihretwegen die ganze Aufregung‘? Aber ich schwöre Ihnen, ein heiße Dusche würde Wunder wirken.“
„Das habe ich keineswegs gedacht. Ich dachte eher, wie glücklich er sein wird, Sie endlich zu sehen. Sie können sich nicht vorstellen, wie gut ihm das tun wird.“
„Wie gut ihm das tun wird? Hat er wieder eine Schreibblockade?“
„Das kann ich nicht sagen, Ma’am, kann ich nicht sagen. Aber es wird ihm gut tun, dass Sie da sind. Sehr gut sogar.“
Michael Peartons Schreibblockaden waren im ganzen Verlag legendär. Nicht nur, dass ich ihn in stundenlangen Telefonaten wieder da rausholen musste – das ganze Büro hielt in diesen Situationen den Atem an. Mehr als einmal hatten wir bereits den Umschlag und die Rückseitentexte fertig, da erklärte er uns, dass er seine ursprüngliche Idee verworfen habe und nun einen komplett anderen Handlungsstrang verfolgte. Für uns hieß das: NB. Unsere Codes waren VB – vor der Blockade – und NB, nach der Blockade.
Charles musterte mich immer noch durch den Rückspiegel, doch sein Gesicht hatte einen besorgten Ausdruck angenommen. „Sie wissen es wirklich nicht, stimmt’s?“
„Nein, ich weiß von gar nichts, aber Sie machen mir Angst.“
„Ich bin ja so froh, dass Sie gekommen sind … um seinetwillen.“
„Charlie, ich musste vor allem um meinetwillen kommen.“
Ich döste ein wenig vor mich hin, und bevor ich mich versah, bogen wir in eine lange, holprige Auffahrt zu einem englischen Landhaus ab.
„Ich wusste gar nicht, dass er auf einem so prunkvollen Anwesen lebt.“
„Das ist seit Ewigkeiten in Familienbesitz. Etwas zugig vielleicht, aber liebenswert. Sie sollten es sehen, wenn der Garten blüht.“
Charles stellte den Wagen ab. Ich hörte ihn tief durchatmen, als er mir die Tür öffnete.
„Sind Sie nervös, Charlie?“ Ich sah ihn aufmerksam an.
„Nur ein bisschen, Miss Hayes.“
„Ich bitte Sie, wenn ich Sie Charlie nenne, bin ich Cassie für Sie. Und wir alle werden bald wissen, ob das Ganze nicht ein großer Fehler war, habe ich Recht?“
Er führte mich eine Treppe hinauf in ein riesiges Foyer.
„Ich bringe Ihren Koffer in Ihr Zimmer. Er wartet im Studio auf Sie. Die Tür ist dort drüben.“
In der Hoffnung, dass meine Knie nicht nachgeben würden, und erstaunt darüber, dass meine Kopfschmerzen sich über den Trubel verflüchtigt hatten, ging ich zu der Tür, hinter der Michael Pearton mich erwartete, und öffnete sie.
35. KAPITEL
A n dem trüben Londoner Morgen war das
Weitere Kostenlose Bücher