EB1021____Creepers - David Morell
Monaten.
Sportinstitutionen bauen Stadien und jagen sie hoch, kaum
dass sie fertig sind, um neue und hässlichere hinstellen zu
können. Die Oberschule, auf die ich gegangen bin, wurde ab‐
gerissen und durch ein Einkaufszentrum ersetzt. Unsere Kul‐
tur ist so besessen von allem, was neu ist – wir zerstören die
Vergangenheit und tun so, als hätte sie nie stattgefunden. Ich
möchte einen Essay schreiben, der die Leute davon überzeugt,
dass die Vergangenheit wichtig ist. Ich möchte, dass meine
Leser es spüren und riechen und zu würdigen wissen.«
Im Zimmer wurde es still. Balenger hörte das deng deng deng
draußen und die Wellen, die an den Strand brandeten. »Ich
fange an, den Typ zu mögen«, sagte Vinnie.
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Balengers Muskeln entspannten sich. Als er zusah, wie die
Creepers ihre Rucksäcke bestückten, wusste er, es würden
weitere Prüfungen kommen. »Wann geht ihr rein?«
»Kurz nach zehn.« Conklin hakte ein Funkgerät am Gürtel
fest. »Das Gebäude ist nur zwei Häuserblocks entfernt, und
ich habe die nötigen Aufklärungsarbeiten schon erledigt, wir
brauchen also keine Zeit mit Überlegungen zu verschwenden,
wie wir es infiltrieren. Warum grinsen Sie?«
»Ich hab mich nur gerade gefragt, ob Sie wissen, wie sehr
Ihr Vokabular an das Militär erinnert.«
»Sondereinheit.« Vinnie befestigte ein Klappmesser innen in
der Tasche seiner Jeans. »Was anderes sind wir auch nicht.«
Balenger setzte sich auf den mit Zigarettenlöchern verun‐
stalteten Stuhl bei der Tür und machte noch ein paar Notizen.
»Ich habe eine Menge von meinem Material auf der Website
des Professors und den anderen großen Sites gefunden, zum
Beispiel infiltration.org . Was meint ihr, wie viele Gruppen es
insgesamt gibt?«
»Bei Yahoo und Google finden Sie Tausende von Seiten«,
antwortete Rick. »Australien, Russland, Frankreich, England.
Hier in den Vereinigten Staaten gibt es sie überall. San Fran‐
cisco, Seattle, Minneapolis. Die Stadt ist bei den Forschern be‐
rühmt wegen ihres Netzwerks von Versorgungstunneln; wir
nennen es das Labyrinth. Dann gibt’s da noch Pittsburgh, New
York, Boston, Detroit…«
»Buffalo«, sagte Balenger. »Unsere alten Jagdgründe«,
stimmte Vinnie zu. »Die Gruppen werden oft in Städten aktiv,
deren alte Innenstädte sich im Niedergang befinden«, sagte
Conklin. »Buffalo und Detroit sind typische Fälle. Die Leute
flüchten in die Vorstädte, und große alte Gebäude bleiben oh‐
ne Funktion und Bewohner stehen. Hotels. Bürogebäude.
Kaufhäuser. Manchmal machen sich die Eigentümer einfach
davon. Wenn keine Steuern mehr bezahlt werden, übernimmt
die Stadt die Besitzansprüche. Aber dann können sich die Be‐
hörden oft nicht entscheiden, ob sie abreißen oder renovieren
sollen. Wenn wir Glück haben, wird das Gebäude einfach
dicht gemacht und stehen gelassen. In der Innenstadt von Buf‐
falo haben wir ein paarmal Gebäude infiltriert, die um 1900
gebaut und 1985 oder sogar noch früher aufgegeben worden
waren. Die Welt verändert sich, aber sie bleiben so, wie sie
sind. Beschädigt, ja sicher. Der Verfall ist nicht zu vermeiden.
Aber ihr Wesen ändert sich nicht. Bei jedem Gebäude, das wir
infiltrieren, ist es so, als beförderte eine Zeitmaschine uns um
Jahrzehnte in die Vergangenheit.«
Balenger ließ den Stift sinken. Sein interessierter Gesichts‐
ausdruck ermutigte den Professor, fortzufahren. »Als ich ein
Kind war, habe ich mich in alle alten Gebäude geschlichen«,
erklärte Conklin. »Es war besser, als zu Hause zu bleiben und
meinen Eltern beim Streiten zuzuhören. Einmal habe ich in
einem zugenagelten Wohnblock einen Stoß Schallplatten aus
den 1930ern gefunden. Nicht diese Langspielplatten aus Vinyl,
keine LPs mit einem halben Dutzend Titeln auf jeder Seite. Ich
rede von diesen Platten aus dickem, hartem Kunststoff, sehr
zerbrechlich und nur ein einziger Song auf jeder Seite. Wenn
meine Eltern nicht zu Hause waren, habe ich sie auf den Plat‐
tenspieler meines Vaters gelegt und immer wieder angehört –
verkratzte alte Musikstücke, bei denen ich mir das primitive
Aufnahmestudio und die altmodische Kleidung vorgestellt
habe, in der die Leute steckten. Für mich war die Vergangen‐
heit besser als die Gegenwart. Wenn man sich heutzutage die
Nachrichten ansieht – die gestiegene Bedrohung und die Ter‐
roristenangriffe –, wirkt es ausgesprochen sinnvoll, sich in der
Vergangenheit zu
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