EB1021____Creepers - David Morell
Kontrolle zu bringen, sich innerlich auf
die Rolle vorzubereiten, die er spielen musste.
Durch die dünne Tür hörte er eine Männerstimme. Sie
klang jung. »Der Typ ist spät dran.« Eine Frauenstimme, eben‐
falls jung. »Vielleicht kommt er gar nicht.«
Ein zweiter Mann, viel älter. »Als er sich bei mir gemeldet
hat, hat er sich absolut begeistert angehört.« Ein weiterer
Mann. Jung, wie die beiden ersten Sprecher. »Ich halte das
nicht für eine gute Idee. Wir haben noch nie einen Außenseiter
mitgenommen. Der ist doch nur im Weg. Wir hätten uns gar
nicht darauf einlassen sollen.«
Balenger wollte nicht, dass die Unterhaltung in dieser Rich‐
tung weitergeführt wurde, und so entschied er, hinreichend
vorbereitet zu sein, und klopfte an. Im Zimmer wurde es still.
Einen Moment später wurde ein Schloss entriegelt. Die Tür
öffnete sich so weit, wie die vorgelegte Kette es zuließ. Ein bär‐
tiges Gesicht spähte ins Freie. »Professor Conklin?« Das Ge‐
sicht nickte. »Ich bin Frank Balenger.«
Die Tür wurde geschlossen. Eine Kette rasselte. Die Tür öff‐
nete sich wieder und gab den Blick auf die Silhouette eines
übergewichtigen Mannes von sechzig Jahren frei.
Balenger wusste über das Alter des Mannes Bescheid, weil
er gründlich recherchiert hatte. Robert Conklin, Professor für
Geschichte an der State University in Buffalo. Hatte während
des Studiums gegen den Vietnamkrieg protestiert. War drei‐
mal bei unterschiedlichen politischen Veranstaltungen verhaf‐
tet worden, darunter dem Marsch auf das Pentagon im Jahr
1967. Und einmal wegen des Besitzes von Marihuana, aber die
Anklage war aufgrund der unzureichenden Beweislage fallen
lassen worden. Verheiratet seit 1970; verwitwet seit 1992. Ein
Jahr später war er unter die Creepers gegangen. »Es ist nach
neun. Wir haben uns schon gefragt, ob Sie noch kommen.«
Das Haar des Professors war so grau wie sein Bart. Die Bril‐
lengläser waren klein, die Wangen schlaff. Nach einem wach‐
samen Blick ins Freie hinaus schloss er die Tür und verriegelte
sie. »Ich hab den früheren Zug von New York verpasst. Tut
mir leid, wenn ich Sie aufgehalten habe.«
»Schon in Ordnung. Vinnie war auch spät dran. Wir sind
am Organisieren.« Der Professor, der in seinen Jeans, dem Pul‐
lover und der Windjacke seltsam deplatziert wirkte, zeigte auf
einen dünnen Mann von vierundzwanzig Jahren, der ebenfalls
in Jeans, Pullover und Windjacke steckte. Ebenso wie die bei‐
den anderen jungen Leute im Zimmer. Ebenso wie Balenger
selbst, der sich gewissenhaft nach den erhaltenen Instruktio‐
nen gerichtet hatte, einschließlich der, dass die Kleidung dun‐
kel sein sollte. Vincent Vanelli. Ein Bachelor‐Abschluss in Ge‐
schichte an der State University in Buffalo, 2002. Lehrer an ei‐
ner Highschool in New York. Unverheiratet. Mutter verstor‐
ben, Vater arbeitsunfähig aufgrund von Emphysemen, verur‐
sacht durch starkes Rauchen. Conklin wandte sich zu den bei‐
den verbliebenen Leuten, einem Mann und einer Frau. Auch
sie waren vierundzwanzig, wie Balenger bei seinen Recher‐
chen herausgefunden hatte. Die Frau hatte rotes Haar, das sie
in einem Pferdeschwanz trug, einen sinnlichen Mund, den
nicht anzustarren manchen Männern Schwierigkeiten bereitet
hätte, und eine Figur, die auch Pullover und Windjacke nicht
verbergen konnten. Der gut aussehende Mann neben ihr hatte
braunes Haar und einen kompakten Körperbau. Balenger hät‐
te keine Nachforschungen über ihn anstellen müssen, um zu
wissen, dass der Mann gern und viel trainierte.
»Ich bin Cora«, sagte die Frau mit einer angenehm tiefen
Stimme, »und das ist Rick.«
Auch hier wieder nur die Vornamen, obwohl Balenger wus‐
ste, dass sie Magill hießen. Auch sie hatten 2002 ihren Ab‐
schluss in Geschichte an der State University in Buffalo ge‐
macht und studierten jetzt an der University of Massachusetts.
Sie hatten sich im Jahr 2001 kennen gelernt und 2002 geheira‐
tet.
»Schön, euch kennen zu lernen.« Balenger schüttelte reihum
die Hände.
Der verlegene Augenblick danach ging zu Ende, als er auf
die Gegenstände zeigte, die auf der abgewetzten Überdecke
ausgebreitet waren. »Das ist also euer Handwerkszeug?«
Vinnie lachte leise. »Ich nehme mal an, wenn der falsche
Typ hier reinkäme, würde er misstrauisch werden.« Es war
eine erstaunliche Sammlung von Ausrüstungsgegenständen:
Schutzhelme mit
Weitere Kostenlose Bücher