EB1021____Creepers - David Morell
ver‐
breitetes Missverständnis, dass Bluter schwach und kränklich
sind, obwohl es manche von ihnen tatsächlich sind. Aber eine
der Behandlungsmethoden besteht darin, körperlich aktiv zu
bleiben. Sportarten ohne Körperkontakt, etwa Schwimmen
und der Gebrauch von Trainingsgeräten, werden ermutigt. Ein
durchtrainierter Torso kann schmerzende Gelenke stützen.
Riesendosen von Vitaminen mit Eisenzusätzen empfehlen sich
zur Vermeidung von Blutarmut und zur Stärkung des Im‐
munsystems. Manchmal werden auch Steroide genommen,
um die Muskelmasse zu vergrößern. Carlisle hat all das sy‐
stematisch betrieben. Nach allem, was man hört, war er eine
eindrucksvolle Erscheinung.«
»Zweiundneunzig«, staunte Cora. Plötzlich schien ihr ein
Gedanke zu kommen. »Aber wenn er 1901 zweiundzwanzig
war, dann hat er ja noch gelebt, als –«
»Zähl noch siebzig Jahre dazu. 1971.« Jetzt war es Rick, der
Coras Gedankengang weiterführte. Balenger stellte fest, dass
sie diese Angewohnheit bereits sehr früh in ihrer Ehe entwik‐
kelt hatten. »Carlisle war noch da, als die Rassenunruhen und
die Brände ausgebrochen sind. Wahrscheinlich hat er sie von
seinem Penthouse aus gesehen. Er muss fürchterliche Angst
gehabt haben.«
»Das ist untertrieben«, sagte der Professor. »Carlisle hat
Anweisung gegeben, Läden an der Innenseite jeder Tür und
jedes Fensters anzubringen. Eiserne Läden. Er hat sich im In‐
neren verbarrikadiert.«
Balenger ließ den Notizblock sinken. »Es ist seit über drei
Jahrzehnten zugenagelt?«
»Noch besser. Carlisle hat uns mit seiner Reaktion auf die
Unruhen einen Gefallen getan. Die Innenläden haben viel bes‐
ser funktioniert, als Bretter an der Außenseite es getan hätten.
Die Fensterscheiben sind von Vandalen und Stürmen ruiniert
worden. Aber zumindest theoretisch hat es keiner ins Innere
geschafft. Dies ist eine seltene Gelegenheit, die vielleicht am
besten erhaltene Stätte zu erforschen, die wir jemals finden
werden. Bevor das Hotel zerstört wird.«
»Zerstört?« Cora sah verständnislos aus. »Nach Carlisles
Tod fiel das Hotel an eine Stiftung, die den Auftrag hatte, es
zu erhalten. Aber als 2001 der Börsenhandel zusammengebro‐
chen war, hatte die Stiftung finanzielle Probleme. Asbury Park
hat das Gebäude wegen ausstehender Steuerzahlungen en‐
teignet. Eine Baufirma hat das Grundstück gekauft. Nächste
Woche kommt eine Firma, die alles Wertvolle aus dem Hotel
entfernen wird. Zwei Wochen danach hat das Paragon einen
Termin mit einer Abrissbirne. Aber heute Nacht hat es die ers‐
ten Gäste seit Jahrzehnten. Nämlich uns.«
6
Balenger spürte die Aufregung, als die Gruppe die Funkgeräte
einschaltete. Das Prasseln von Störgeräuschen füllte den
Raum.
Conklin drückte auf eine Taste. »Testlauf.« Die verzerrte
Stimme drang aus jedem der anderen Geräte. Der Reihe nach
taten Rick, Cora und Vinnie das Gleiche, um sicherzustellen,
dass die Geräte sendeten und nicht nur empfingen.
»Die Batterien klingen gut«, sagte Cora. »Und Ersatz haben
wir auch.«
»Wetter?«, fragte Rick.
»Schauer am frühen Morgen«, sagte Conklin. »Nicht so
schlimm also. Es wird Zeit«, sagte Vinnie. Balenger schob Ar‐
beitshandschuhe, die Nussmischung, Wasserflaschen, einen
Schutzhelm, einen Werkzeuggürtel, ein Funkgerät, eine Ta‐
schenlampe und Batterien in den letzten verbleibenden Ruck‐
sack. Er stellte fest, dass die Gruppe ihn beobachtete. »Was ist
los?«
»Du kommst wirklich mit?« Cora runzelte die Stirn. Balen‐
ger spürte den Druck hinter den Ohren. »Natürlich. War das
nicht so gemeint?«
»Wir haben eigentlich damit gerechnet, dass du es dir an‐
ders überlegst.«
»Weil es mich nicht anmacht, mitten in der Nacht in einem
alten Gebäude rumzukriechen? Genau genommen habt ihr
mich jetzt erst richtig neugierig gemacht. Und meine Story
würde nicht viel hergeben, wenn ich nicht dabei bin und sehe,
was ihr findet.«
»Ihr Herausgeber wäre vielleicht nicht begeistert, wenn Sie
verhaftet werden«, bemerkte Conklin. »Wie wahrscheinlich ist
das?«
»In dieser Gegend von Asbury Park hat sich seit zwanzig
Jahren kein Wachmann mehr blicken lassen. Aber eine gewisse
Gefahr besteht immer.«
»Keine sehr große, so wie sich das anhört.« Balenger zuckte
die Achseln. »Hemingway hat mit einem Schädelbruch am D‐
Day teilgenommen. Was sollte mich davon abhalten, eine
Nacht lang den Creeper zu
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