Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
Vom Netzwerk:
aus.
    Nachdenklich umfasste Mia ihre Teetasse. »Aber nun ist Arthur ja doch noch auf dem Ökotrip gelandet. Das muss Ihren Mann doch freuen.«
    »Mal schauen«, sagte Marlit zweifelnd. »Ich glaube, da steckt nicht viel Überzeugung dahinter. Das ist eher eine Notlösung. In der schillernden Welt des Investmentbankings konnten sie einen Behinderter mit monatelangem Krankenhausaufenthalt nicht gebrauchen. Unglücklicherweise hatte Arthur seinen Job sogar selbst gekündigt, nur drei Tage vor dem Unfall. Die neue Firma wollte ihn natürlich nicht mehr, nachdem er dort nicht fristgerecht antreten konnte, und die alte nahm ihn auch nicht zurück. Sie zahlten ihm irrwitzige Summen, damit er nicht wegen Diskriminierung vors Arbeitsgericht zog. Ich glaube, das hat ihn am meisten verletzt: Dass er sein Spiel nicht selbst beenden konnte, sondern dass andere ihn vom Spielfeld warfen.«
    Marlit beugte sich vor und schob Mia die Keksschale zu. »Greif zu, Liebchen.« Unbemerkt wechselte sie zum Du.
    Widerstrebend nahm Mia sich einen zweiten Keks. Wie konnte eine so stilsichere Frau wie Marlit Kessler nur so ekelhafte Kekse anbieten?
    »Wie gesagt, diese Geschichte mit Elbzeug ist eher zufällig entstanden«, fuhr Marlit fort. »Arthur brauchte dringend ein Projekt, an dem er sich festhalten konnte. Und da Ulrich Hampel ein alter Schulfreund von ihm ist, fügte sich eins zum anderen.«
    Bei aller Neugier beschlich Mia nun doch leises Unbehagen, weil Marlit Kessler so offen über ihren Sohn sprach. Es wäre ihr lieber gewesen, Arthur hätte ihr das alles selbst erzählt.
    »Seltsam«, sagte sie mit einem Blick auf die zahlreichen Familienbilder, »früher war Arthur offenbar ein echter Familienmensch und sehr gesellig. Heute scheint er eher ein Einzelgänger zu sein.«
    »Ich sage ja, er hat sich völlig verändert. Aber er wird sich wieder fangen«, erklärte Marlit mit einer Überzeugung, die Mia erstaunte. »Schau, Liebchen, als ich damals im Krankenhaus an seinem Bett saß, da schien es mir, als ob die Ärzte nicht nur Arthurs Arme und Beine, sondern auch seine Seele eingegipst hätten. All seine Gefühle waren plötzlich eingesperrt, er konnte nicht weinen, nicht wütend sein, nicht lachen. Er tat einfach nur, was er schon immer gut konnte: der Beste sein. Niemand in der ganzen Rehaklinik hat so schnell laufen gelernt wie Arthur. Niemand hat so schnell nach außen hin wieder so hervorragend funktioniert wie er. Er ging einfach los, kaufte sich diese Wohnung an der Elbe und fing an zu arbeiten. Nur die Seele, die kam nicht mit, die blieb eingegipst.«
    Mia dachte an Arthurs Tränen in dem schäbigen Hotelzimmer, still und kontrolliert zwar, aber er hatte sehr deutlich seine Gefühle gezeigt. Ob das ein Zeichen war? Fand Arthur allmählich wieder Zugang zu seinem Inneren? Sie spürte Marlits Blick auf sich ruhen.
    »Mia«, sagte Marlit eindringlich, »mir scheint, dass du Arthur sehr wichtig bist. Es ist nämlich äußerst ungewöhnlich, dass er dir so viel erzählt hat. Normalerweise redet er mit niemandem über den Unfall. Er schafft das einfach nicht.«
    Oh nein, dachte Mia bestürzt, Marlit wollte sie mit ihrem Sohn verkuppeln, weil sie etwas brauchte, an das sie glauben konnte, eine Gewissheit, dass alles gut werden würde.
    Behutsam sagte sie: »Mag sein, dass Arthur sich kurze Zeit für mich interessiert hat. Aber das ist vorbei. Er ist abgetaucht, weil er mich nicht mehr sehen will. Dabei hatte er es so eilig, dass er sich nicht mal die Zeit genommen hat, seinen Wagen sicher in der Tiefgarage zu parken. Der steht seit Wochen vor seinem Haus. Deutlicher kann man eine Absage nicht formulieren, oder?«
    »Aber Arthur ist doch da. Ich habe mehrmals mit ihm telefoniert.«
    »Auf dem Festnetz oder übers Handy?«
    Marlit Kessler runzelte die Stirn. »Das weiß ich jetzt nicht so genau. Aber weißt du, sein Verschwinden ist nichts Ungewöhnliches.« Sie seufzte leise. »Früher haben wir Arthur kaum zu Gesicht bekommen, weil er so weit weg wohnte. Jetzt sehen wir ihn nicht mehr, weil er es nicht will.« Sie straffte ihre Schultern und schlug einen nüchternen, klaren Tonfall an. »Mach dir also keine Sorgen, weil er mal ein paar Wochen verschwunden ist. Er wird sich schon wieder melden.«
    »Du hast doch selbst gesagt, dass seine Frauen kommen und gehen. Ich gehe wohl auch eher … bin schon gegangen …«
    Marlit beugte sich vor und lächelte beschwichtigend. »Weil Arthur sich nicht meldet? Aber nein, so schnell solltest du

Weitere Kostenlose Bücher