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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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nicht aufgeben. Ich sehe doch, wie sehr du ihn magst.«
    Mia lächelte verlegen.
    »Gib ihm Zeit, Liebchen. Gib ihm Zeit.«
    Mia erinnerte sich voller Unbehagen daran, wie Arthur vor über einem Jahr den Kontakt zu ihr abgebrochen hatte. Damals hatte er sich nur wieder gemeldet, weil sie sich zufällig über den Weg gelaufen waren. Als habe er sich plötzlich daran erinnert, dass Mia ja auch noch existierte. Sie ging davon aus, dass es diesmal nicht anders sein würde.
    »Ich glaube, du tust Arthur sehr gut.« Marlits Lächeln war breit und warm.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Dieser Zwischenfall auf der Autobahn, der ist ein sehr gutes Zeichen.«
    »Huch? Seit wann sind Panikattacken gut?«
    »Seitdem sie ein Zeichen von Lebendigkeit sind. Jemand, der jahrelang wie tot ist und auf einmal Angst zeigt, macht Fortschritte. Große Fortschritte.« Marlit Kesslers Stimme nahm einen flehenden Klang an, als sie ihre Bitte wiederholte: »Gib Arthur Zeit, Liebchen, gib ihm Zeit.«
     

25
     
    Der Wind legte sich, die Wolkendecke brach auf und die Abendsonne tauchte die Dünenlandschaft in ein warmes Licht. Mia setzte sich auf eine Bank oberhalb des Strandes und ließ die friedliche Stimmung auf sich wirken. Es war Ebbe, das Meer hatte sich weit zurückgezogen und gab einen breiten Sandstrand frei, auf dem sich die wenigen Spaziergänger verloren. In einem Priel schwammen ein paar Enten, zwei Möwen stritten um einen Leckerbissen, den sie aus dem seichten Wasser gefischt hatten, ein Mann sauste mit seinem Kitebuggy über die Ebene.
    Mia kam nicht zur Ruhe. Ihr Besuch bei Marlit Kessler brachte sie völlig durcheinander. Sie war nach Spiekeroog gereist, um das Kapitel Arthur Kessler endgültig zu schließen und zu den Akten zu legen. Doch nun öffneten sich auf einmal neue Seiten, entdeckte sie Erzählstränge, die ihr bisher vollkommen unbekannt waren. Statt sich zu freuen, hielt sie deren Enden jedoch ratlos in ihren Händen und wusste nichts damit anzufangen.
    Marlit Kesslers eindringliche Worte schwangen in Mia nach. Gib ihm Zeit. Doch wie sollte sie einem Mann Zeit geben, der gar keine Zeit wollte? Der nur seine Ruhe brauchte? Wie sollte sie ihre eigenen Ängste und Zweifel überwinden, wenn es keinerlei Anhaltspunkte gab, dass sich ihr Einsatz am Ende auch auszahlte?
    Viele Momente kamen ihr in den Sinn, winzige Augenblicke, die in ihrer Erinnerung aufblitzten und eine nachträgliche Bedeutung erhielten. Momente voller Nähe, aber auch voller Missverständnisse, Angst und Abwehr.
    Schaudernd dachte Mia an den Augenblick, als sie entdeckt hatte, was los war.
    Wo ist dein Fuß geblieben?
    Dämlicher hätte sie es wirklich nicht formulieren können. Scham überwältigte sie bei der Erinnerung an ihre Hysterie und Hilflosigkeit. An Arthurs Stelle wäre sie auch abgehauen. Er musste ja annehmen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, schockiert wie sie war. Das bisschen Sex hatte sie da auch nicht mehr gerettet, im Gegenteil, es vergrößerte die Kluft zwischen ihnen nur.
    Ihre erste Begegnung mit Arthur kam ihr in den Sinn. Er hatte so männlich auf sie gewirkt, so kraftvoll und energiegeladen, unnahbar, uneinnehmbar. Arthur war ein Held, einer, der alles konnte, alles wusste, alles beherrschte, ein Mann, neben dem sie sich klein und unsicher vorgekommen war. Wie sehr sie sich doch getäuscht hatte.
    Nur – was änderte sich dadurch zwischen ihnen? Gar nichts, erkannte sie resigniert.
    Eine weitere Szene drängte aus ihrer Erinnerung empor. Arthur in ihrer Wohnung, fürsorglich, ihr zugewandt. Und sie hatte ein Riesentheater wegen dieser lächerlichen Verstauchung gemacht. Erneut wurde ihr heiß vor Scham. Niemand wusste so gut wie Arthur, was es hieß, zur Bewegungslosigkeit verdammt zu sein, nicht mehr laufen zu können. Ihm war es zehnmal schlimmer als Mia ergangen, ach was, hundertmal schlimmer. Aber sie hatte gejammert und sich selbst bemitleidet. Sie hatte sich bis zur Unerträglichkeit in ihrem Elend gesuhlt. Arthur hatte kein Wort darüber verloren, er war einfach nur da und versuchte, sie aufzumuntern. Erst jetzt ging ihr auf, wie viel Überwindung es ihn gekostet haben musste, aus seinem Elfenbeinturm herauszukommen und sich ihr so liebevoll zuzuwenden.
    Ein entsetzliches Gefühl von Verlassenheit befiel Mia.
    Sie stand auf und ging den kleinen Holzsteg zwischen den Dünen zum Strand hinunter. Sie lief hinaus ins Watt, der glitzernden Wasserfläche entgegen, die sich weit hinten am Horizont mit dem

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