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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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vor.«
    Mia konnte nicht einschätzen, wie groß Norbert Roths Interesse an ihr war. Trotzdem entschied sie sich für die Wahrheit. »Ich wollte einen Roman schreiben. Darum habe ich in den letzten Monaten vor meiner Kündigung nur noch in Teilzeit gearbeitet, um mehr Zeit zum Schreiben zu haben.«
    Norbert Roth schaute überrascht auf. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. »Das war aber eine mutige Entscheidung. Stunden, die erst mal weg sind, kriegt man ja in der Regel so schnell nicht wieder.«
    Mia nickte. »Das war genau mein Problem. Als die Agentur in Bedrängnis geriet, war ich eine der Ersten, die gehen musste. Teilzeitkräfte brachten sich in den Augen der Geschäftsleitung nicht genug in ihre Arbeit ein.«
    Norbert Roth spielte weiter mit seinem Kugelschreiber. »Und dann haben Sie die Arbeitslosigkeit als Chance genutzt und erst mal in aller Ruhe Ihren Roman fertig geschrieben, nehme ich an.«
    Diese Frage brachte Mia aus der Fassung. »Äh … nein.« Sie suchte fieberhaft in ihrem Hirn nach einer plausiblen Erklärung für fast ein Jahr Arbeitslosigkeit. Wieder fiel ihr nur die Wahrheit ein. »Das heißt, ich habe es versucht. Aber ich bin ehrlich gesagt nur mühsam vorangekommen. Ich hatte private Probleme. Mein Mann und ich trennten uns – das hat mir sehr zu schaffen gemacht. Ich … mag sein, dass ich dadurch auch nicht nachdrücklich genug nach einem neuen Job gesucht habe.«
    Aus. Vorbei. Unfassbar, was sie hier für Müll redete. Sie hatte es total vermasselt. Wieder mal.
    Norbert Roths Blick war undurchdringlich. »Sie hätten doch als freie Texterin arbeiten können«, bemerkte er. »Bei Ihrer langjährigen Erfahrung wäre da doch sicher was gegangen.«
    »Stimmt. Kleinere Aufträge hatte ich zwischendurch auch mal.« Jetzt log sie doch. »Und falls es mit der festen Stelle gar nicht klappt, werde ich das auf jeden Fall ausbauen. Aber ich … na ja, ich lebe lieber abgesichert. Die Selbständigkeit liegt mir nicht so.«
    Norbert Roth blätterte in ihrem Lebenslauf. Seine nächsten Fragen waren weniger heikel, und Mia entspannte sich ein wenig.
    Abschließend sprach Norbert Roth die Rahmenbedingungen an. »Wir suchen dringend jemanden, am liebsten ab morgen. Sie würden einen Vertrag über dreißig Wochenstunden bekommen, befristet für ein Jahr.«
    Mia wusste, was das bedeutete. Sie arbeitete mindestens vierzig Stunden, vermutlich eher fünfzig, wurde aber nur für dreißig bezahlt. Und das bei einem Gehalt, das ohnehin erschütternd niedrig war. Sie hatte also die Wahl, für einen Hungerlohn Vollzeit zu arbeiten, oder weiter auf Staatskosten zu leben. Verlockender war eindeutig die zweite Variante. Aber sie wusste, dass sie nie wieder auf die Beine kommen würde, wenn sie diese Chance nicht ergriff – sofern Norbert Roth sie überhaupt haben wollte.
     
    Er wollte sie zu ihrer Überraschung tatsächlich. Bei einem zweiten Gespräch lernte Mia seine Frau und seine Sekretärin kennen. Sie waren seine einzigen Mitarbeiterinnen. Die Sekretärin machte einen fröhlichen und patenten Eindruck. Dagmar Roth hingegen hatte verkniffene Gesichtszüge und musterte Mia misstrauisch. Offenbar betrachtete sie Mia als Konkurrentin, nicht nur in beruflicher Hinsicht, sondern vor allem als Frau. Vermutlich fürchtete Frau Roth, dass Herr Roth sich gelegentlich mit der neuen Mitarbeiterin im Kopierraum vergnügen könnte. Als Mia trotzdem zusagte, hatte sie kein gutes Gefühl dabei. Aber ihr blieb keine Wahl.
    Der Wiedereinstieg ins Berufsleben gestaltete sich mühsam für sie. In den ersten Wochen wurde sie nach all den Misserfolgen des vergangenen Jahres von solchen Ängsten und Selbstzweifeln geplagt, dass sie nachts kaum schlief. Und das, obwohl sie abends so erschöpft war, dass sie es meistens nicht mal schaffte, einzukaufen, geschweige denn, selbst zu kochen. Ihr Essen bestand hauptsächlich aus Fastfood. Die Speckröllchen auf ihren Hüften wurden immer größer. Sie bewegte sich auch kaum noch. Tagsüber saß sie im Büro, abends lag sie apathisch auf ihrem Sofa. Wie hatte sie es früher nur geschafft, nach so langen Arbeitstagen noch um die Häuser zu ziehen? Damals musste sie einen anderen Körper besessen haben.
    Die Arbeit in der kleinen Agentur machte Mia wie erwartet keinen Spaß. Sie sehnte sich nach herausfordernden, kreativen Arbeiten. Stattdessen verbrachte sie ihre Tage damit, Bildunterschriften für das Kundenmagazin eines Autohauses zu entwerfen und für eine Spielbank

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