Ebbe und Glut
Pressemeldungen zu schreiben, die Dagmar Roth ihr regelmäßig mit verkniffenem Mund zurückgab.
»Was Sie da schreiben, ist Werbung, keine Öffentlichkeitsarbeit. Wenn Sie den Unterschied nicht kennen, sind Sie hier fehl am Platz.«
Mia korrigierte jeden ihrer Texte wieder und wieder, wie eine kleine Volontärin, die keine Ahnung vom Schreiben hatte. Sie war abends immer erschöpfter und morgens immer lustloser, wenn sie aufstand. Sie bekam Magenschmerzen und Albträume. Ihr Leben war genauso einsam wie in den Zeiten der Arbeitslosigkeit. Doch nun war sie zusätzlich auch noch völlig panisch.
Nur an den Sonntagen fühlte sie sich wohl. Da schlief sie sehr lange und arbeitete anschließend an ihrem Roman. Sie hatte ihn tatsächlich wieder hervor geholt und überarbeitete Seite für Seite das gesamte Manuskript. Erstaunt stellte sie fest, dass sie schon recht viel geschrieben hatte. Allerdings waren viele Szenen unbrauchbar. Mia entwickelte ein völlig neues Konzept für die Geschichte. Und auf einmal fügten sich die Wörter mit einer Selbstverständlichkeit aneinander, die sie lange vermisst hatte.
»Nun mach es schon auf!«, drängte Annika ungeduldig.
Sie und Henny saßen gemeinsam mit Mia in einem kleinen indischen Restaurant in Altona. Es war Mias vierzigster Geburtstag. Die große Party, von der sie jahrelang geträumt hatte, gab es nicht, danach stand ihr einfach nicht der Sinn. Aber Henny und Annika hatten darauf bestanden, wenigstens gemeinsam essen zu gehen.
Sie kannten sich alle seit der fünften Klasse und waren seit damals Freundinnen. Ihre Lebenswege entwickelten sich sehr unterschiedlich, aber ihre Freundschaft überdauerte all die Jahre. Annika wurde Psychologin, heiratete und bekam zwei Kinder. Sie und ihr Mann Matthias kauften sich ein Reihenhaus in Neu-Allermöhe, einer seelenlosen Vorortsiedlung, in der hauptsächlich Familien mit Kindern lebten. Annika organisierte Tupperpartys und Kindergeburtstage und war so wahnsinnig hilfsbereit, dass sie sich damit ständig selbst überforderte. Henny entschied sich für eine kaufmännische Richtung und arbeitete mittlerweile als Personalleiterin bei einer Krankenkasse. Ihre schrillen Männergeschichten waren legendär. Warum sie immer an die Falschen geriet, wusste sie selbst nicht, aber mit zunehmendem Alter machte sie sich immer weniger aus all den Dramen und Tragödien. Sie kamen und gingen und hielten ihr Leben in Schwung.
Mia öffnete das kleine Päckchen. Es enthielt ein Duschgel und eine Körperlotion, beides von Weleda. Sündhaft teure Bioprodukte, die Mia sich lange nicht mehr geleistet hatte.
»Granatapfel Schönheitsdusche« , las sie und seufzte. Sie fühlte sich gleich viel besser. In dem Päckchen lag noch ein Gutschein für eine Wellnessbehandlung – Massage, Schlammpackung, Peeling. Mia musste laut lachen, als sie das Motto des Schönheitsprogramms las. » Aus alt mach neu – das ist ja wohl genau das Richtige für mich.«
»Danach wirst du dich königlich fühlen«, prophezeite Annika ihr.
Gerührt umarmte Mia ihre Freundinnen.
»Und – hast du was von Frank gehört?«, fragte Henny.
Mia verzog missmutig das Gesicht. Sie hatte gehofft, dieses unschöne Thema vermeiden zu können, aber dass Henny taktlos in ihren Wunden stocherte, war eigentlich keine Überraschung.
Gequält sagte sie: »Er hat mir ein Paket geschickt. Wie schon beim letzten Geburtstag und Weihnachten.«
»Was war denn drin?« Henny schob ihre langen, blonden Ponyfransen aus der Stirn. Für sie war jedes Lebenszeichen von Frank ein Liebesbeweis, und sie begriff nicht, warum Mia so ungehalten darauf reagierte. Frank liebte sie immer noch, auf seine Weise, und statt ihn zu verfluchen, täte Mia gut daran, ihn endlich zu erhören und damit nicht nur Frank, sondern auch sich selbst zu erlösen.
Mia zuckte mit den Schultern. »Das Übliche. Lauter nette Sachen. Teure Pralinen, ein Buch, eine schöne, kleine Vase.«
Sie wusste nicht, was sie von Franks Geschenken halten sollte. Sie waren allesamt mit Liebe ausgewählt. Er wusste, welche Bücher sie gerne las, welche Süßigkeiten ihr schmeckten und dass sie sich ständig darüber beklagte, zu wenig Vasen zu besitzen. Frank kannte sie mindestens so gut wie ihre langjährigen Freundinnen, zwischen ihnen war all die Jahre so viel Nähe, so viel Vertrautheit gewesen. Aber jetzt ertrug Mia diese Nähe nicht mehr. Sie bereitete ihr Übelkeit und Herzrasen.
»Er sollte damit aufhören.« Annika hatte ihre eigene
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