Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
unterdrücken und übergab sich auf den Boden.
Dann schaute Lucy zum Telefon auf dem Schreibtisch. Es schien eine Meile weit weg zu sein. Der Gestank ihres Erbrochenen und des Blutes stieg ihr in die Nase. Ihr wurde wieder übel.
Sie rannte ins Badezimmer.
76.
Jessica stand hinten im Crystal Room und beobachtete alles. Der Redner am Pult, ein Pathologe aus Toledo, hatte früher beim FBI in Ohio gearbeitet. Er sprach über einen ungelösten Fall, der sich 1985 in einem Vorort von Toledo ereignet hatte. Eine Frau und ihre alte Mutter waren mit einer langen Eisenstange, die vermutlich von einem Bettgestell stammte, erschlagen worden. Hinter dem Redner wurden Fotos des Tatorts an die Wand geworfen.
Jessica schaute sich die Fotos an. Der Tatort hätte auch in Tucson oder Toronto oder Tallahassee sein können. Im Grunde war es fast immer dasselbe, nicht aber für die Familien der Opfer. Und auch nicht für die Ermittler, denen die Aufgabe zukam, die für das Verbrechen Verantwortlichen aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Jessica wusste nicht nur aus persönlicher Erfahrung, sondern auch von ihren Kollegen, dass ein ungelöster Fall an einem nagte, bis er entweder gelöst war oder ein neues Entsetzen, ein neues Puzzle an seine Stelle trat. Und auch dann verschwand er nicht wirklich, er machte nur Platz für neue Fälle.
Sie dachte an Joseph Novaks Tagebuch.
Welche Verbindung hatte er zu dem Fall? Über Marcato LLC hatte Jessica nur die Information gefunden, dass diese Firma vor circa fünfzehn Jahren gegründet worden war und hauptsächlich Musik veröffentlichte. Alles wies darauf hin, dass Joseph Novak einen Partner hatte, doch die Dokumente bei den Banken trugen ausschließlich seinen Namen.
»Detective?«
Die Stimme eines Mannes. Ganz in ihrer Nähe. Jessica wirbelte herum. Frederic Duchesne, der Dekan des Prentiss Institute, stand vor ihr. Er hatte sich ihr genähert, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Nicht gut. Jessica war abgelenkt, und das bedeutete, dass sie verletzbar war. Sie atmete tief ein und bemühte sich um ein Lächeln.
»Mr. Duchesne.«
»Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe«, sagte Duchesne.
Einen Schreck hatte Jessica nicht unbedingt bekommen, doch sie fand es befremdlich, dass Duchesne sich so leise herangeschlichen hatte. »Kein Problem«, erwiderte sie, aber das war nicht ehrlich gemeint. »Was kann ich für Sie tun, Mr. Duchesne?«
»Nennen Sie mich bitte Frederic.«
»Frederic.« Jessica sah sich um. Im Augenblick war alles im grünen Bereich.
»Ich wollte nur fragen, ob Sie das Material bekommen haben, das ich Ihnen geschickt habe.«
»Ja, das haben wir bekommen. Vielen Dank.«
»Haben Sie einen Moment Zeit?«
Jessica blickte auf die Uhr über der Tür. Das war nicht ganz so unhöflich, wie auf die Armbanduhr zu schauen. Ein bisschen Zeit hatte sie noch. »Sicher.«
Sie stellten sich in eine ruhige Ecke des Raumes.
»Als Sie bei mir im Institut waren, fragte Ihr Partner mich nach Programmmusik, nach symphonischen Dichtungen.«
»Ja. Ist Ihnen noch etwas dazu eingefallen?«
»In der Tat. Ästhetisch betrachtet ist die Tondichtung in gewisser Weise mit der Oper verwandt. Der Unterschied ist, dass der Text nicht vor Publikum gesungen wird. Es gibt Beispiele absoluter Musik, die auch so etwas wie eine Erzählung beinhalten.«
Jessica starrte ihn fragend an.
»Okay, dann sag ich es mal so. Auch wenn sie selbst keinen Text enthält, wurde oftmals etwas ergänzend zu der Musik geschrieben – ein poetisches Motto, wenn Sie so wollen.«
»Sie meinen im Anschluss an die Komposition geschrieben?«
»Ja.«
Duchesnes Blick wanderte kurz durch die Lobby und dann zurück zu Jessica.
»Mögen Sie klassische Musik, Detective?«
Jessica warf verstohlen einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Klar«, sagte sie. »Ich verstehe nicht besonders viel davon, aber wenn ich klassische Musik höre, weiß ich, ob sie mir gefällt oder nicht.«
»Und«, begann Duchesne, »gehen Sie manchmal in Konzerte?«
»Nicht oft. Mein Mann ist kein großer Fan von klassischer Musik. Er steht mehr auf Southside Johnny.«
Duchesne blickte kurz auf Jessicas linke Hand. Im Dienst trug sie ihren Ehering nie – und übrigens auch keinen anderen Schmuck. Die Gefahr, den Ring zu verlieren, war zu groß, und außerdem gab man sofort seinen Familienstand preis, wenn es besser war, ihn zu verschweigen.
»Das war sehr direkt von mir«, sagte Duchesne. »Verzeihen Sie mir bitte.«
»Kein
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