Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
weinten. Es wurde wieder geklatscht.
Nachdem alle ihre Geschichten erzählt und ihre Gefühle herausgelassen hatten, streckte Nestor beide Arme zur Seite aus. »Lasst uns danken und beten.«
Sie reichten sich die Hände, sprachen ein kurzes Gebet, und dann war das Treffen vorüber.
»Es ist nicht so einfach, wie es aussieht, nicht wahr?«
Sie drehte sich um. Es war der Typ mit den stahlblauen Augen. Es war kurz nach zwölf, und sie standen vor dem Haupteingang der Kirche zwischen zwei verkrüppelten braunen Nadelbäumen, denen die Jahreszeit schon zu schaffen machte.
»Weiß nicht«, erwiderte sie. »Es fiel mir jedenfalls nicht leicht, mich dazu durchzuringen.«
Der Typ lachte. Er hatte eine kurze cognacfarbene Lederjacke angezogen und eine bernsteinfarbene Serengeti-Sonnenbrille über den Saum seines TShirts gehängt. Er trug schwarze Stiefel mit dicken Sohlen.
»Ja, ich glaube, du hast recht.« Er faltete die Hände vor der Brust und wippte auf den Absätzen. Ich bin in Ordnung, mach dir keine Sorgen, sollte die Pose ihr vermitteln. »Es ist eine Weile her, seitdem ich es zum ersten Mal gemacht habe.« Er reichte ihr die Hand. »Du heißt Paulette, richtig?«
»Und ich bin Alkoholikerin.«
Der Typ mit den stahlblauen Augen lachte. »Ich auch, und ich heiße Danny.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Danny.« Sie schüttelten sich die Hand.
»Eines kann ich dir jedenfalls versprechen«, erklärte er ihr, ohne gefragt worden zu sein. »Es wird einfacher.«
»Der Verzicht?«
»Ich wünschte, das könnte ich behaupten. Nein, ich meine das Sprechen. Sobald du dich in die Gruppe integriert hast, wird es etwas einfacher, deine Geschichten zu erzählen.«
»Geschichten? Im Plural? Ich dachte, das wäre es gewesen.«
»Nein, das ist ein Irrtum. Es ist ein Prozess, der eine ganze Weile andauert.«
»Okay. Und wie lange?«
»Hast du den Mann in dem roten Flanellhemd gesehen?«
Danny meinte den alten Mann in den Siebzigern, der im Rollstuhl saß. »Was ist mit dem?«
»Er kommt seit sechsunddreißig Jahren zu den Treffen.«
» Mein Gott. Er hat seit sechsunddreißig Jahren keinen Alkohol getrunken?«
»Das behauptet er jedenfalls.«
»Und er hat noch immer das Bedürfnis zu trinken?«
»Das hat er gesagt.«
Danny schaute auf seine Uhr, einen auffallend großen Fossil-Chronografen. Die Geste sah nicht ganz so kalkuliert und einstudiert aus, wie sie es wahrscheinlich war. »Hör zu. Ich brauche erst in ein paar Stunden wieder zu arbeiten. Darf ich dich zu einer Tasse Kaffee einladen?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete Paulette misstrauisch.
Danny hob die Hände. »Ganz unverbindlich. Nur eine Tasse Kaffee.«
Sie lächelte. »Irish?«
»Böse Paulette. Böse, böse Paulette.«
Sie lachte. »Okay.«
Sie wählten ein Lokal in der Germantown Avenue und suchten sich einen Tisch am Fenster. Ihr Gespräch drehte sich um Filme, Mode und die Wirtschaft. Paulette aß einen Obstsalat. Er trank einen Kaffee und aß einen Cheeseburger. Weder das eine noch das andere hatte einen Stern verdient. Etwa eine Viertelstunde später hielt Paulette ihr iPhone hoch und tippte auf den Touchscreen. Sie wählte keine Nummer und verschickte keine SMS oder E-Mail. Sie nahm weder einen Eintrag in die Kontaktliste vor, noch fügte sie einen Termin in iCal hinzu. Stattdessen machte sie ein Foto von dem Typen mit den stahlblauen Augen. Heute Morgen hatte sie die Option ausgeschaltet, die das Geräusch einer klickenden Kamera mit dem Vorgang selbst verband. Anschließend schaute sie scheinbar enttäuscht aufs Display, als stimme etwas nicht. Das war nicht der Fall. Das Foto, das der junge Mann nicht sehen konnte, war perfekt.
»Probleme?«, fragte er.
Paulette schüttelte den Kopf. »Nein, ich bekomme nur in dieser Gegend nie ein Signal.«
»Vielleicht bekommst du draußen ein Signal«, sagte Danny. Er stand auf und zog sich die Jacke über. »Willst du es mal probieren?«
Sie drückte auf eine andere Taste, wartete, bis der Fortschrittsbalken auf der rechten Seite ankam, und sagte: »Klar.«
»Komm«, sagte Danny. »Ich bezahl schnell.«
Sie gingen langsam die Straße hinunter und sahen sich schweigend die Schaufenster an.
»Wolltest du nicht telefonieren?«, fragte Danny.
Sie schüttelte den Kopf. »Ist nicht wichtig. Wollte nur meine Mutter anrufen. Sie sagt mir sowieso nur immer, was für eine Loserin ich bin. Das kann warten.«
»Wir könnten verwandt sein«, meinte Danny. »Eng verwandt. Ich glaube, wir haben
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