Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
Francisco Brahms’ Vertonung der Stelle aus dem Korintherbrief über Glaube, Liebe und Hoffnung sang, geschah es dann doch.
    Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Worte. Der Text schien auf schmerzliche Weise passend. Nichts, was er über Ziggys Tod gehört hatte, machte weder logisch noch auf metaphysischer Ebene Sinn.
    Tränen rannen ihm über die Wangen, aber es kümmerte ihn nicht. Er war nicht der Einzige, der in dem überfüllten Krematorium weinte, und so weit weg von zu Hause schien er von seiner sonstigen Zurückhaltung in Gefühlsdingen befreit zu sein. Neben ihm stand Weird in einer tadellos geschneiderten Soutane, in der er eher pfauenhafter wirkte als irgendeiner der schwulen Männer, die Ziggy das letzte Geleit gaben. Natürlich weinte er nicht. Seine Lippen bewegten sich ständig.
    Alex vermutete, dass dies ein Zeichen von Frömmigkeit sein sollte und keine psychische Störung war, denn Weird legte immer wieder die Hand auf das lächerlich prunkvolle, vergoldete Kreuz auf seiner Brust. Als er es auf dem SeaTac Airport zum ersten Mal sah, hätte Alex fast laut gelacht. Weird war selbstbewusst auf ihn zugegangen und hatte seine Multi-Funktions-Tasche abgestellt, um seinen alten Freund mit einer theatralischen Geste zu umarmen. Alex bemerkte seine glatte Haut und überlegte, ob er sich hatte liften lassen.
    »Es ist schön von dir, dass du gekommen bist«, sagte Alex und führte ihn zu dem Mietwagen, den er am Morgen abgeholt hatte.
    »Ziggy war mein ältester Freund. Zusammen mit dir und Mondo. Ich weiß, wir haben im Leben ganz verschiedene Wege eingeschlagen, aber das kann daran nichts ändern. Das Leben, das ich jetzt führe, schulde ich zum Teil unserer Freundschaft.
    Ich wäre ein sehr schlechter Christ, wenn ich mich von alldem abwenden würde.«

Alex war nicht recht klar, wieso alles, was Weird sagte, wie eine Erklärung für die Allgemeinheit klang. Wann immer er etwas äußerte, war es, als hinge eine unsichtbare Gemeinde bei jedem seiner Worte an seinen Lippen. Sie hatten sich in den letzten zwanzig Jahren nur ein paarmal gesehen, aber bei jeder dieser Gelegenheiten war es das Gleiche. »Der Jesusschleimer«
    hatte ihn Lynn getauft, als sie ihn zum ersten Mal in der kleinen Stadt in Georgia besuchten, wo er seine Gemeinde um sich geschart hatte. Der Spitzname passte noch genauso gut wie damals.
    »Und wie geht es Lynn?«, fragte Weird, als er es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht hatte und seinen würdevollen, perfekt geschnittenen Anzug zurechtzog.
    »Sieben Monate schwanger und in voller Blüte«, antwortete Alex.
    »Der Herr sei gepriesen! Ich weiß, wie sehr ihr beide euch danach gesehnt habt.« Weird strahlte, und sein Lächeln schien sogar echt. Aber er stand ja oft genug für die Fernsehmission eines Lokalsenders vor Kameras, da war es schwer, das Vorgetäuschte vom Echten zu unterscheiden. »Ich danke dem Herrn, dass er mich mit Kindern gesegnet hat. Die glücklichsten Erinnerungen, die ich habe, sind meine fünf. Die Liebe, die ein Mann für seine Kinder empfindet, ist tiefer und reiner als alles andere auf der Welt. Alex, ich weiß, du wirst große Freude haben an dieser Veränderung in deinem Leben.«
    »Danke, Weird.«
    Der Reverend zuckte etwas zusammen. »Lass mal«, sagte er, eine alte Redewendung aus ihrer Jugend hervorholend. »Ich glaube, das ist dieser Tage keine passende Anrede mehr.«
    »Tut mir leid. Alte Gewohnheiten sind schwer loszuwerden.
    Du wirst für mich immer Weird sein.«
    »Und wer genau nennt dich heutzutage Gilly?«
    Alex schüttelte den Kopf. »Du hast recht. Ich werde versuchen, dran zu denken. Tom.«
    »Ich danke dir, Alex. Und wenn ihr das Kind taufen wollt, würde ich sehr gerne die Taufe vornehmen.«
    »Ich glaube, wir werden wohl nicht diesen Weg gehen. Der Sprössling kann selbst entscheiden, wenn er alt genug ist.«
    Weird verzog die Lippen. »Die Entscheidung liegt natürlich bei euch.«
    Die unterschwellige Aussage war völlig klar: Verurteile doch dein Kind zu ewiger Verdammnis, wenn du unbedingt musst. Er starrte aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft.
    »Wohin fahren wir?«
    »Paul hat dir eines der Häuschen bei dem Motel gebucht, wo wir auch wohnen.«
    »Ist es in der Nähe der Stelle, wo es brannte?«
    »Ungefähr zehn Minuten entfernt. Warum?«
    »Ich würde gern zuerst dorthin fahren.«
    »Warum?«
    »Ich will ein Gebet sprechen.«
    Alex schnaufte hörbar. »Gut. Hör zu, da ist etwas, was du wissen

Weitere Kostenlose Bücher