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Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Aber er konnte es nicht ändern. Niemand, der Weird jemals völlig weggetreten im Drogenrausch oder nach Schließung der Kneipen in den Rinnstein kotzen gesehen hatte, konnte diesen Auftritt ernst nehmen. Er drehte sich auf dem Absatz um, ging zum Wagen zurück und warf die Tür zu, um sich von dem abzuschotten, was Weird da an wirren Phrasen gen Himmel schickte. Er war versucht, wegzufahren und den Prediger den Elementen zu überlassen. Aber Ziggy hatte Weird nie im Stich gelassen, genauso wenig wie einen der anderen.
    Und jetzt war das Beste, was Alex für Ziggy tun konnte, sein Wort zu halten. Also blieb er da.
    Eine Reihe bewegter Bilder stand vor seinem inneren Auge.
    Ziggy schlafend im Bett, ein plötzlich aufloderndes Feuer, Flammen umzüngeln das Holz, Rauch zieht durch die vertrauten Zimmer, Ziggy bewegt sich leicht, als die tückischen Rauchgase in seine Atemwege dringen, der verschwommene, zitternde Umriss des Hauses hinter dem Schleier von Hitze und Rauch und Ziggy bewusstlos mitten in dieser lodernden Glut. Es war fast unerträglich, und Alex versuchte verzweifelt, diese Bilder in seinem Kopf loszuwerden. Als er sich Lynn vorstellte, konnte er daran nicht festhalten. Er wollte einfach nur dieser Situation entfliehen und irgendwo sein, wo er sich auf etwas anderes konzentrieren konnte. Nach etwa zehn Minuten kam Weird zum Wagen zurück und brachte einen Schwall kühler Luft mit. »Brr«, sagte er, »ich war noch nie so recht überzeugt davon, dass es in der Hölle heiß ist. Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich sie kälter als einen Kühlraum im Schlachthaus machen.«
    »Sicher könntest du mal mit Gott ein Wörtchen darüber reden, wenn du in den Himmel kommst. Okay, sollen wir jetzt zum Motel fahren?«
    Die Fahrt schien Weird genug Zeit mit Alex gegeben zu haben. Nach der Anmeldung im Motel teilte er ihm mit, er hätte ein Taxi bestellt, das ihn nach Seattle fahren würde. »Ich habe da einen Kollegen, den ich besuchen will.« Er vereinbarte mit Alex, der ihn zur Beerdigung mitnehmen würde, ihn am nächsten Morgen wieder zu treffen, und schien jetzt merkwürdig still. Trotzdem graute Alex davor, was Weird wohl auf der Beerdigung von sich geben würde.
     
    Der Chorgesang von Brahms verklang, und Paul trat ans Pult.
    »Wir sind hier versammelt, weil Ziggy uns allen viel bedeutet hat«, sagte er und musste sich offensichtlich anstrengen, dass seine Stimme nicht versagte. »Wenn ich den ganzen Tag reden würde, könnte ich doch nicht einmal die Hälfte dessen ausdrücken, was er mir bedeutete. Deshalb werde ich es erst gar nicht versuchen. Aber wenn jemand unter euch ist, der Erinnerungen an Ziggy mit uns teilen möchte, bin ich sicher, dass wir das alle gerne hören würden.«
    Fast bevor er aufgehört hatte zu sprechen, stand ein älterer Mann in der ersten Reihe auf und ging steif zum Podest. Als er sich umdrehte und ihnen gegenüberstand, wurde Alex klar, was einem Menschen abverlangt wird, der sein Kind begraben muss.
    Karel Malkiewicz schien kleiner geworden zu sein, die breiten Schultern waren nach vorn gebeugt, und seine dunklen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Alex hatte Ziggys verwitweten Vater schon seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, aber die Veränderung war deprimierend. »Ich vermisse meinen Sohn«, sagte er, und sein polnischer Akzent war unter dem schottischen Tonfall noch deutlich hörbar. »Er hat mich mein ganzes Leben lang stolz gemacht. Schon als Kind kümmerte er sich um seine Mitmenschen. Er war immer ehrgeizig, aber nicht um der persönlichen Anerkennung willen. Er wollte immer die beste Leistung bringen, weil er so das Beste für andere Menschen tun konnte. Ziggy hat sich nie viel daraus gemacht, was andere von ihm hielten. Er sagte immer, es sei ihm wichtiger, nach dem beurteilt zu werden, was er tat, als nach der Meinung anderer Leute. Ich bin froh, heute so viele von Ihnen hier zu sehen, weil mir das zeigt, dass Sie diese Seite an ihm verstehen.« Der alte Mann nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas auf dem Pult.
    »Ich hatte meinen Sohn sehr gern. Vielleicht habe ich ihm das nicht oft genug gesagt. Aber ich hoffe, er ist in diesem Wissen gestorben.« Er senkte den Kopf und ging zu seinem Platz zurück.
    Alex presste Daumen und Zeigefinger an seine Nasenwurzel und versuchte die Tränen zu unterdrücken. Ziggys Freunde und Kollegen kamen einer nach dem anderen nach vorn. Manche sagten kaum mehr, als dass sie ihn sehr gern gehabt hatten und wie sehr er ihnen fehlen

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