Echo Einer Winternacht
er kein Problem damit gehabt, Ersatz zu finden. Alex saß in der ersten Reihe, Lynn zusammengekauert neben ihm. Sie war vor zwei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden und bewegte sich noch wie eine alte Frau. Er hatte sie zu überreden versucht, zu Hause zu bleiben und sich auszuruhen, aber sie hatte darauf bestanden, das Begräbnis ihres einzigen Bruders nicht zu verpassen. Außerdem, so argumentierte sie, da sie bis jetzt kein Kind zu Hause hatte, für das sie sorgen musste, würde sie nur herumsitzen und grübeln. Es wäre besser, bei der Familie zu sein. Ihm fiel kein schlagendes Gegenargument ein. Also saß sie da und hielt die Hand ihres völlig benommenen Vaters, um ihn zu trösten; die Rollen von Eltern und Kind waren jetzt vertauscht. Ihre Mutter saß auf der anderen Seite, ihr Gesicht war hinter einem weißen Taschentuch fast nicht zu sehen. Hélène saß weiter drüben in der Reihe, den Kopf gesenkt, die Schultern hochgezogen. Sie sah aus, als hätte sie sich ganz in sich zurückgezogen und eine Schranke zwischen sich und dem Rest der Welt errichtet. Wenigstens war sie vernünftig genug gewesen, nicht an Jackies Arm zur Beerdigung zu erscheinen. Sie stand auf, als der Pfarrer das letzte Lied ansagte. Bei den einleitenden schönen Klängen der Crimond-Vertonung des dreiundzwanzigsten Psalms saß Alex ein Kloß im Hals. Die Singstimmen waren etwas schwach, bis die Leute den rechten Ton gefunden hatten, dann schwoll die Melodie um ihn herum zu voller Lautstärke an. Was für ein Klischee, dachte er und verachtete sich selbst dafür, dass er von dem traditionellen Choral, der immer bei Beerdigungen gesungen wurde, so gerührt war. Ziggys Trauerfeier war so viel ehrlicher gewesen, eine Ehrung des Mannes statt dieser zusammengestoppelten oberflächlichen Rituale. Soweit er wusste, war Mondo nie zur Kirche gegangen außer an den traditionell üblichen Festen. Der schwere Vorhang hob sich, und der Sarg begann seine letzte Reise.
Die Klänge des letzten Verses verstummten, als der Vorhang sich hinter dem Sarg schloss. Der Pfarrer sprach den Segen und ging dann den Mittelgang entlang. Die Familie folgte ihm, Alex als Letzter mit Lynn, die schwer an seinem Arm hing. Die meisten Gesichter waren verschwommen, aber auf halbem Weg durch das Kirchenschiff sprang ihm Weirds hoch aufge-schossene Gestalt ins Auge. Sie begrüßten sich mit einem kurzen Nicken, dann war Alex vorbei und ging auf die Türen zu.
Als er gerade weggehen wollte, kam die zweite Überraschung.
Obwohl er James Lawson nicht mehr persönlich gesehen hatte, seit er Jimmy gerufen wurde, war ihm sein Gesicht aus den Medien vertraut. Geschmacklos, dachte Alex und nahm seinen Platz an der Tür ein, um die Beileidsbezeugungen der Trauergäste entgegenzunehmen. Hochzeiten und Beerdigungen erforderten gleichermaßen, dass man sich bei den Leuten bedankte, die gekommen waren.
Es nahm kein Ende. Sheila und Adam Kerr schienen sehr verwirrt. Es war schon schwer genug, ein Kind zu Grabe tragen zu müssen, das so brutal zu Tode gekommen war, und dann auch noch die Anstrengung, alle Beileidsbezeugungen von Menschen zu empfangen, die sie vorher nie zu Gesicht bekommen hatten und auch nie wiedersehen würden. Alex fragte sich, ob es sie tröstete, dass so viele Leute gekommen waren, um ihrem Sohn die letzte Ehre zu erweisen. Ihm machte es nur bewusst, wie groß der Abstand war, der ihn in den letzten Jahren von Mondo getrennt hatte. Er kannte fast niemanden.
Weird stand fast am Ende der Schlange. Er umarmte Lynn behutsam. »Es tut mir so leid, dass du ihn verloren hast«, sagte er. Dann schüttelte er Alex die Hand und legte ihm seine andere Hand auf den Ellbogen. »Ich warte draußen.« Alex nickte.
Endlich kamen die letzten paar Trauergäste. Komisch, dachte Alex. Lawson war nicht dabei. Er musste durch eine andere Tür hinausgegangen sein. Eigentlich war das ganz gut so. Er bezweifelte, dass er hätte höflich sein können. Alex führte seine Verwandten durch die trauernde Menge zum Wagen des Bestattungsunternehmens. Er half Lynn hinein, vergewisserte sich, dass alle anderen auf ihren Plätzen saßen, und sagte dann:
»Wir sehen uns im Hotel. Ich muss nur nachsehen, dass hier alles in Ordnung geht.«
Er schämte sich, dass er erleichtert war, als das Auto die Einfahrt entlangfuhr. Vorher hatte er hier seinen eigenen Wagen abgestellt, damit er einen fahrbaren Untersatz hatte, falls er sich nach dem Gottesdienst noch um irgendetwas kümmern musste.
Aber im
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