Echo Einer Winternacht
den Schaden rekapitulierten, den die gehässigen Gerüchte im letzten Jahr in St. Andrews ihrem Leben zugefügt hatten.
Weird verlor als Erster die Geduld mit dieser Vergangenheits-bewältigung. Er leerte sein Glas und stand auf. »Ich brauche frische Luft«, verkündete er. »Ich lasse mich nicht einschüchtern und werde mich nicht den Rest meines Lebens hinter verschlossenen Türen verstecken. Will jemand mitkommen?«
Sie lehnten ab. Alex wollte das Abendessen machen, und Lynn versorgte gerade Davina. Weird lieh sich Alex’ Wachsjacke und machte sich auf den Weg zum Strand. Überraschenderweise hatten sich die Wolken aufgelöst, die den ganzen Tag vorübergezogen waren. Der Himmel war klar, ein abnehmender Mond stand tief zwischen den Brücken. Die Temperatur war um mehrere Grade gefallen, und Weird zog den Kragen der Jacke hoch, als ein heftiger kalter Windstoß vom Firth heraufblies. Er wandte sich den Schatten unter der Eisenbahnbrücke zu, denn er wusste, wenn er auf die Landspitze hinaufstieg, würde er eine großartige Aussicht auf die Flussmündung in Richtung Inchcolm und die Nordsee haben. Draußen im Freien fühlte er sich schon viel besser. Man war Gott in der frischen Luft, ohne die störende Gegenwart anderer Menschen, immer ein Stück näher. Er dachte, er hätte sich mit seiner Vergangenheit ausgesöhnt, aber nach den Ereignissen der letzten Tage war ihm auf beunruhigende Weise bewusst geworden, dass ihn einiges mit dem jungen Mann von einst verband. Weird musste allein sein, um seinen Glauben an den Wandel, den er durchgemacht hatte, wiederherzustellen. Beim Gehen überlegte er, welch langen Weg er zurückgelegt und wie viel hinderliches Gepäck er auf Grund seines Glaubens an die Erlösung, den seine Religion ihm bot, abgeworfen hatte. Es wurde ihm leichter ums Herz, und seine Gedanken wurden beschwingter. Später würde er seine Familie anrufen und sich von ihren Stimmen beruhigen lassen.
Nach ein paar Worten mit seiner Frau und seinen Kindern würde er sich fühlen wie jemand, der aus einem Albtraum erwacht. An der praktischen Situation würde sich nichts ändern. Das wusste er. Aber er würde besser mit dem umgehen können, was die Welt ihm zu bewältigen aufgab.
Der Wind wurde jetzt stärker, er brauste und tobte ihm um die Ohren. Als er stehen blieb, um Atem zu holen, nahm er das ferne Rauschen des Verkehrs auf der Brücke wahr. Er hörte das Rattern eines Zuges, der sich der Eisenbahnbrücke näherte, lehnte sich zurück und legte den Kopf nach hinten, um den Zug fünfzig Meter über sich wie ein Spielzeug vorbeifahren zu sehen.
Den Schlag, der Weird in die Knie gehen ließ, während er nur ein paar schrecklich verzerrte Fetzen eines Gebets ausstoßen konnte, sah und hörte er nicht. Der zweite Schlag traf seine Rippen und ließ ihn zu Boden stürzen. Er nahm nur vage eine dunkle Gestalt wahr, die etwas wie einen Baseballschläger hielt, bevor sich nach einem dritten Schlag auf die Schultern seine Gedanken verwirrten. Ein vierter Schlag erwischte ihn hinten an den Oberschenkeln und ließ ihn auf den Bauch fallen, so dass eine Flucht unmöglich war.
Damit war der Überfall, so plötzlich, wie er begonnen hatte, vorüber. Es kam ihm wie ein blitzschneller Rückblick auf das Geschehen vor fünfundzwanzig Jahren vor. In einem Nebel von Schmerz und Schwindel hörte Weird undeutliches Rufen und das rätselhafte Bellen eines kleinen Hundes. Er roch seinen warmen, schalen Atem und spürte, wie eine nasse Zunge ihm sabbernd das Gesicht ableckte. Dass er überhaupt etwas spürte, war ein solcher Segen, dass ihm die Tränen kamen.
»Du hast mich vor meinen Feinden gerettet«, versuchte er zu sagen. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
»Ich gehe nicht ins Krankenhaus«, beharrte Weird. Er hatte es so oft gesagt, dass Alex anfing, es für ein unbestreitbares Symptom einer Gehirnerschütterung zu halten. Weird saß am Küchentisch, starr vor Schmerz und genauso unflexibel, was das Thema medizinischer Versorgung anging. Sein Gesicht war blass, und ein langer Striemen lief von der rechten Schläfe zum Hinterkopf.
»Ich glaube, du hast ein paar Rippenbrüche«, sagte Alex. Und das nicht zum ersten Mal.
»Auf die sie nicht einmal ein Pflaster kleben werden«, sagte Weird. »Ich habe mir schon mal Rippen gebrochen. Sie werden mir nur Schmerzmittel geben und verlangen, dass ich sie einnehme, bis es mir besser geht.«
»Ich mache mir eher Sorgen wegen der Gehirnerschütterung«, sagte Lynn, die mit
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