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Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Baseballstiefeln und ging rückwärts aus dem Zimmer. Im Bad zog er sich an und schlich nach unten, denn er wollte auch Mondo nicht aufwecken. Diesmal verzichtete er sogar auf Ziggys Gesellschaft. Bei den Kleiderhaken im Flur blieb er stehen. Sein Parka war bei der Polizei, das hieß, er hatte nur eine Jeans-und eine Regenjacke. Er griff sich beide und ging hinaus.
    Es schneite nicht mehr, aber die schweren Wolken hingen noch tief herab. Die Stadt sah aus wie in Watte gepackt, und die ganze Welt war schwarz-weiß. Wenn er die Augen halb schloss, verschwanden die weißen Gebäude von Fife Park, und das helle Gesamtbild wurde nur durch die leeren Rechtecke der Fenster unterbrochen. Auch keine Geräusche waren zu hören, sie wurden vom Schnee erstickt. Alex schritt über die früher grüne Rasenfläche auf die Hauptstraße zu. Heute sah sie wie ein Weg in den Cairngorms aus, auf dem sich hier und da im Schnee Spuren von Fahrzeugen abzeichneten, die sich mühsam ihren Weg gesucht hatten. Niemand, der nicht unbedingt fahren musste, tat es bei diesem Wetter. Als er das Sportgelände der Universität erreichte, waren seine Füße nass und eiskalt, aber irgendwie kam ihm das ganz passend vor. Alex ging die Einfahrt entlang und auf die Hockeyplätze zu. Mitten in der weißen Fläche wischte er den Schnee von einem Torbrett und setzte sich. Die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände gestützt, starrte er über die endlose weiße Schneedecke, bis kleine Lichter vor seinen Augen blitzten.
    Was er auch versuchte, konnte Alex seinen Kopf einfach nicht so leer fegen wie die Einöde, die vor ihm lag. Die Bilder von Rosie Duff liefen vor seinem inneren Auge ab. Wie sie ernst und konzentriert ein Guinness vom Hahn zapfte, wie sie halb abgewandt über den Kommentar eines Gastes lachte oder schelmisch die Augenbrauen bei einer seiner Bemerkungen hochzog. Das waren Erinnerungen, die er gerade noch ertragen konnte. Aber dabei würde es nicht bleiben. Diese Bilder wurden ständig von der anderen Rosie mit dem schmerzverzerrten Gesicht verdrängt, die blutend im Schnee lag und um die letzten Atemzüge rang.
    Alex bückte sich und nahm zwei Hände voll Schnee, drückte sie mit den Fäusten fest zusammen, bis seine Hände vor Kälte anfingen, blau zu werden, und Wassertropfen an seinen Handgelenken hinunterrannen. Die Kälte verwandelte sich in den Schmerz der Betäubung. Er wünschte, es gäbe irgendetwas, das die gleiche Wirkung in seinem Kopf hervorrufen könnte. Ihn ausschalten, völlig ausschalten, damit alles so leer wäre wie die leuchtend weiße Schneedecke. Als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, machte er sich fast in die Hose. Er sprang auf, stolperte vorwärts, wäre beinahe in den Schnee gefallen und fing sich gerade noch rechtzeitig. Die Fäuste an die Brust gedrückt wirbelte er herum. »Ziggy«, rief er, »Mensch, hast du mir ’n Schreck eingejagt.«

»Tut mir leid.« Ziggy sah aus, als werde er gleich in Tränen ausbrechen. »Ich hab dich gerufen, aber du hast nicht reagiert.«
    »Ich hab dich nicht gehört. Mein Gott, sich so anzuschleichen, du schaffst dir ja einen Namen als böser Geist, Mann«, sagte Alex mit nervösem Lachen und versuchte, seine Angst durch einen Scherz zu überspielen.
    Ziggy kratzte mit der Spitze seines Gummistiefels im Schnee.
    »Ich weiß, du wolltest wahrscheinlich allein sein, aber als ich dich rausgehen sah, bin ich dir nachgegangen.«
    »Ist schon gut, Ziggy.« Alex beugte sich vor und wischte noch mehr Schnee vom Brett. »Setz dich zu mir auf meine luxuriöse Couch, wo Haremsdamen uns mit Sorbet und Rosenwasser erfrischen werden.«
    Ziggy gelang ein schwaches Lächeln. »Das Sorbet – da passe ich lieber. Da krieg ich immer so ’ne kalte Zunge. Macht dir doch nichts aus, dass ich da bin?«
    »Nein, nein, es stört mich nicht, klar?«
    »Ich hab mich um dich gesorgt, das ist alles. Du hast sie von uns allen am besten gekannt. Ich wusste nicht, ob du vielleicht vor den anderen nicht reden willst.«
    Alex zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts Besonderes zu sagen, seh immer nur ihr Gesicht vor mir. Ich dachte, ich würde nicht schlafen können.« Er seufzte.
    »Ach was, nein. Ich meine, ich hatte einfach zu viel Angst, es auch nur zu probieren. Als ich klein war, wurde ein Freund meines Vaters bei einem Unfall in der Werft verletzt. Irgendeine Explosion, ich weiß nicht genau, was. Jedenfalls hatte er dann nur noch ein halbes Gesicht. Wortwörtlich.

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