Echo Einer Winternacht
Lammas.« Es war eine Notlüge, aber unter den Umständen zweckdienlich. Für Janice hatte die Lammas Bar etwa die Attraktivität von kaltem Porridge. Noch dazu mit Rauchgeschmack.
»Ich kann es einfach nicht begreifen«, sagte Duff. »So was sieht man in der Glotze. Aber so etwas passiert doch nicht Leuten wie uns.«
»Wie haben Sie davon gehört?« Janice war wirklich neugierig, das zu erfahren. In einer kleinen Stadt wie St. Andrews sprachen sich Neuigkeiten meistens rasend schnell herum, aber normalerweise nicht mitten in der Nacht.
»Ich hab bei einem von meinen Freunden übernachtet. Seine Freundin arbeitet im Imbiss in der South Street und hatte Frühstücksschicht. Sie hörte davon, als sie um sechs zur Arbeit kam, und hat sich gleich ans Telefon gehängt. Verdammte Scheiße«, explodierte er. »Ich dachte zuerst, es wäre ein blöder makabrer Scherz. Ich meine, das denkt man doch, oder?«
Janice schloss das Auto auf und dachte: Nein, eigentlich nicht, ich habe keine Freunde, die so etwas witzig finden würden. Sie sagte: »Man will einfach nicht mal für eine Sekunde glauben, dass es wahr sein könnte.«
»Genau«, sagte Duff und setzte sich auf den Beifahrersitz.
»Aber wer würde denn so was mit Rosie machen? Ich meine, sie war ein guter Mensch, wissen Sie? Ein nettes Mädchen.
Nicht irgend’ne Schlampe.«
»Sie und Ihr Bruder haben ja auf sie aufgepasst. Haben Sie irgendjemanden gesehen, der sich in ihrer Nähe herumtrieb und der Ihnen nicht gefiel?« Janice ließ den Motor an und fröstelte, als ein kalter Schwall aus den Luftschlitzen kam. Mein Gott, war es bitterkalt heute früh.
»Es gab immer Kerle, die um sie rumscharwenzelten. Aber alle wussten, dass sie es mit mir und Colin zu tun bekämen, wenn sie Rosie belästigten. Also haben sie Abstand gehalten.
Wir haben uns immer um sie gekümmert.« Er schlug plötzlich mit der Faust auf die Handfläche der anderen Hand. »Wo waren wir also gestern Abend, als sie uns wirklich brauchte?«
»Sie sollten sich nicht die Schuld daran geben, Brian.« Janice fuhr den Streifenwagen vorsichtig vom Parkplatz auf den spiegel-glatten gefrorenen Schnee der Landstraße hinaus. Vor dem gelbgrauen Himmel sah die Weihnachtsbeleuchtung kümmerlich aus, und der grandiose Laserstrahl, den das Physikalische Institut der Universität beigesteuert hatte, warf nur eine unscheinbare, blasse Kritzelei auf die niedrig hängenden Wolken.
»Ich geb mir ja nicht selbst die Schuld, sondern dem Schwein, der das getan hat. Aber ich wünschte, ich wäre dabei gewesen, damit ich es hätte verhindern können. Zu spät, verdammt, immer zu spät, verdammt noch mal«, murmelte er düster vor sich hin.
»Sie wussten also nicht, mit wem sie ausging?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie hat mich angelogen. Sie sagte, sie würde mit ihrer Kollegin Dorothy auf eine Weihnachtsparty gehen. Aber Dorothy ist auf der Party aufgetaucht, auf der ich war. Sie sagte, Rosie sei weggegangen, um sich mit einem Typ zu treffen. Ich wollte sie mir vorknöpfen, wenn ich sie sehen würde. Ich meine, es ist eine Sache, Mum und Dad nichts zu sagen. Aber ich und Colin, wir waren immer auf ihrer Seite.«
Er rieb sich mit dem Handrücken die Augen. »Ich kann’s nicht ertragen. Das Letzte, was sie zu mir gesagt hat, war eine Lüge.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?« Janice brachte beim Westtor den schlitternden Wagen zum Stehen und fuhr ganz langsam auf die Straße nach Strathkinness.
»Gestern, als ich von der Arbeit kam. Ich traf sie in der Stadt, wir haben zusammen Mums Weihnachtsgeschenk gekauft. Wir drei haben uns zusammengetan, um ihr einen neuen Föhn zu schenken. Dann sind wir zu Boots gegangen, weil wir ihr ein paar gute Stücke Seife kaufen wollten. Ich ging mit Rosie zum Lammas, und da hat sie mir gesagt, sie wollte mit Dorothy ausgehen.« Er schüttelte den Kopf. »Sie hat mich angelogen.
Und jetzt ist sie tot.«
»Vielleicht hat sie nicht gelogen, Brian«, sagte Janice.
»Vielleicht hatte sie geplant, zu der Party zu gehen, aber später am Abend kam was dazwischen.« Das war wahrscheinlich genauso wahr wie die Geschichte, die Rosie erzählt hatte, aber Janice wusste aus Erfahrung, dass Hinterbliebene sich immer an den letzten Strohhalm klammerten, um sich das Bild von der Person, die sie verloren hatten, zu erhalten. Duff benahm sich ganz genauso. Hoffnung erhellte sein Gesicht. »Wissen Sie was, das ist es wahrscheinlich. Rosie war nämlich keine Lügnerin.«
»Aber
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