Echo Einer Winternacht
zwischen die anderen Blumen zu legen, als er sich vor Schreck fast in die Hose gemacht hätte, denn die Hand auf seiner Schulter kam aus dem Nichts. Das nasse Gras hatte die Schritte gedämpft, und er war zu sehr in seine eigenen Gedanken versunken, als dass sein natürlicher Instinkt ihn hätte warnen können. Alex fuhr herum und wich vor der Hand zurück, rutschte auf dem Gras aus und lag plötzlich ausgestreckt auf dem Rücken, eine Wiederholung der Szene vom Dezember vor drei Jahren, die ihm fast übel werden ließ. Er zuckte zusammen und erwartete einen Tritt oder Schlag, wenn der, der ihn gestört hatte – wer immer es sein mochte –, merkte, wer er war. Auf eine besorgte Frage und eine bekannte Stimme, die ihn bei seinem Spitznamen nannte, den sie immer nur in seiner Clique gebraucht hatten, war er total unvorbereitet.
»He, Gilly, alles okay?« Sigmund Malkiewicz streckte Alex die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Herrgott noch mal, Ziggy, was soll denn das, dich auf einem dunklen Friedhof an mich heranzuschleichen?«, protestierte Alex und kam aus eigener Kraft wieder hoch.
»Tut mir leid.« Er zeigte mit einer Kopfbewegung auf die Rose. »Schöne Idee. Mir fiel nie etwas ein, das ich passend fand.«
»Bist du schon öfter hier gewesen?« Alex wischte seinen Mantel ab und wandte seinem ältesten Freund das Gesicht zu.
Ziggy sah in dem matten Licht geisterhaft aus, seine blasse Haut schien von innen zu leuchten.
Er nickte. »Nur an den Jahrestagen. Hab dich aber sonst noch nie gesehen.«
Alex zuckte die Schultern. »Für mich ist es das erste Mal. Ich tu alles, damit es weggeht, weißt du?«
»Ich glaube, das werde ich nie schaffen.«
»Ich auch nicht.« Ohne ein weiteres Wort drehten sie sich um und gingen zum Eingang zurück, jeder in seine eigenen schlimmen Erinnerungen versunken. Es war eine unausgesprochene Übereinkunft gewesen, dass sie es nach Verlassen der Universität vermieden, über das Ereignis zu sprechen, das ihr Leben so drastisch verändert hatte. Der Schatten hing immer über ihnen, aber dieser Tage blieb er unerwähnt. Vielleicht hatte ihre Freundschaft gerade dadurch in solcher Intensität Bestand gehabt, dass sie, ohne ausdrücklich den Entschluss gefasst zu haben, solche Gespräche vermieden.
Jetzt, wo Ziggy den hektischen Tagesablauf eines Assistenzarztes in Edinburgh hatte, schafften sie es nicht mehr, sich so oft zu sehen, aber wenn sie einmal abends zusammen weggingen, war die alte Vertrautheit immer noch genauso groß.
Am Tor blieb Ziggy stehen und sagte: »Lust auf ’n Bier?«
Alex schüttelte den Kopf. »Wenn ich anfange, werde ich nicht mehr aufhören wollen. Und das hier ist kein günstiger Ort, an dem du oder ich besoffen herumlaufen sollten. Es gibt immer noch zu viele Leute in der Gegend hier, die denken, wir sind damals gerade so vorbeigeschrammt. Nein, ich mach mich auf, zurück nach Glasgow.«
Ziggy zog ihn zu sich heran und drückte ihn an sich. »Wir sehen uns dann an Silvester, ja? Auf dem Marktplatz um Mitternacht?«
»Ja. Lynn und ich, wir werden kommen.«
Ziggy nickte und verstand alles, was in diesen paar Worten enthalten war. Er hob die Hand zu einem scherzhaften militärischen Gruß und ging in die dichter werdende Dunkelheit davon.
Seitdem war Alex nicht mehr am Grab gewesen. Es hatte ihm nicht geholfen, und so wollte er auch Ziggy nicht begegnen. Es war zu schmerzhaft, so viele Dinge kamen damit wieder hoch, die ihre Beziehung nicht stören sollten.
Wenigstens musste er nicht allein und im Geheimen leiden, so wie er glaubte, dass die anderen es wohl taten. Lynn hatte von Anfang an alles über Rosie Duffs Tod gewusst. Sie waren seit jenem Winter zusammen. Manchmal hatte er sich gefragt, ob die Tatsache, dass sie das Wissen über sein größtes Geheimnis teilte, ein Beweggrund für ihn war, sie zu lieben. Es war schwierig, nicht zu glauben, dass die Umstände jener Nacht ihn nicht irgendwie einer anderen Zukunft beraubt hatten. Es war sein ganz persönlicher Mühlstein, den er mit sich herumschleppte, ein Fleck in seiner Erinnerung, der ihm das Gefühl gab, für immer gezeichnet zu sein. Niemand würde mit ihm befreundet sein wollen, wenn er wusste, was in seiner Vergangenheit vorgefallen war, welcher Verdacht in den Augen so vieler ihm immer noch anhing. Und doch wusste Lynn alles und liebte ihn trotzdem.
Im Lauf der Jahre hatte sie es auf so vielfältige Weise bewiesen. Und bald würde der schönste
Weitere Kostenlose Bücher